Lateinamerika

Venezuelas koloniale Erpressung: Wie man ein Land dazu bringt, auf seine Bodenschätze zu verzichten

Die venezolanische Regierung hat sich mit der Opposition geeinigt, dass im Ausland eingefrorene Gelder ins Land zurückgeführt werden. Eine Folge des Abkommens: Ausländische Multis dürfen wieder die Bodenschätze des Landes ausbeuten, und das praktisch kostenlos.
Venezuelas koloniale Erpressung: Wie man ein Land dazu bringt, auf seine Bodenschätze zu verzichtenQuelle: www.globallookpress.com © Stringer/dpa

Von Maria Müller

Am 26. November unterzeichneten in Mexiko ein Vertreter der Regierung Venezuelas (Jorge Rodríguez) und der Opposition (Gerardo Blyde) unter Beisein der Dialogexperten Norwegens und Mexikos (Dan Nylander und Außenminister Marcelo Ebrard) eine Übereinkunft. Sie erhielt die Bezeichnung "das zweite Teilabkommen über den sozialen Schutz des Volkes". Eine gemeinsame Kommission soll die korrekte Umsetzung des Abkommens kontrollieren.

Zwei Teilabkommen sehen vor, dass drei Milliarden der 7,5 Milliarden Dollar von im Ausland blockierten venezolanischen Staatseigentums an die venezolanische Bevölkerung zurückgeleitet werden.

Unter UN-Aufsicht sollen die Gelder in Projekte der humanitären Versorgung geleitet werden – medizinische Ausrüstungen und Medikamente, Lebensmittel und Infrastrukturmaßnahmen (Stromnetz, Schulgebäude). Zudem haben Unwetter kürzlich schwere Schäden im Land verursacht, die mit den Geldern repariert werden sollen.

Venezuelas fast identischer Vorschlag im Jahr 2020

Die Regierung Venezuelas hatte sich bereits im Juni 2020, zu Beginn der Pandemie, mit einem fast identischen Vorschlag an die UNO gewandt.

Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) sollte als Vermittler zwischen Venezuela und der Bank of England agieren. Damals hat Nicolás Maduro einen von Rechtsexperten erarbeiteten Vorschlag unterbreitet, wonach die UNO das in der britischen Bank gelagerte venezolanische Gold im Wert von einer Milliarde US-Dollar verwalten und in Impfstoffe sowie soziale Hilfen einsetzen sollte.

Doch England verweigerte die Rückgabe des fremden Eigentums. Denn damals fehlte das vom Westen gewünschte Schlüsselelement für humanitäre Maßnahmen, das erst im Mai 2022 durch das venezolanische Parlament bereitgestellt wurde: der Verzicht auf die souveräne Kontrolle über die eigenen Bodenschätze.

Das Gesetz über die Kohlenwasserstoffe

Der lange Weg des gnadenlosen Wirtschaftskrieges gegen Venezuela hatte eine Hauptursache: das Gesetz über die Kohlenwasserstoffe. Damit versuchte das Land seit 1945 die Entscheidungsmacht über seine eigenen Ressourcen zu sichern. Seitdem hat die südamerikanische Nation dieses Gesetz in immer wieder veränderter Form den Herausforderungen durch die Ölmultis und die schwankenden Preise angepasst. Das Gesetz hat Verfassungsrang, es ist nicht von der nationalen Sicherheit und Existenz Venezuelas zu trennen.

Um es kurz zu machen: 1945 ging man von einer gemeinsamen Ausbeutung der Gas- und Ölvorkommen durch den Staat und private Akteure aus – die Gewinne sollten je zur Hälfte an beide Seiten gehen.

Über die Jahrzehnte wechselte man zu Joint-Venture-Unternehmen mit verschiedenen Aktienmehrheiten, bis hin zur völligen Übernahme ausländischer Förderanlagen und Raffinerien durch den venezolanischen Staat (Hugo Chávez).

Neue Gesetzesänderung ist ein Freifahrtschein

Heute ist Venezuela am anderen Extrem angelangt. Die nun verabschiedete Fassung ist ein Freifahrtschein für die praktisch kostenlose Ausbeutung venezolanischer Bodenschätze durch ausländische Multis – allen voran die US-Firma Chevron.

Damit hat die koloniale Macht im Norden endlich das Ziel ihrer langjährigen Destabilisierung und Erpressung erreicht. Im Mai erklärte die Energie- und Erdölkommission der Nationalversammlung Venezuelas in Bezug auf den endgültigen Entwurf des neuen Gesetzes über Kohlenwasserstoffe:

"Der Bereich ist mit der notwendigen Dringlichkeit durch nationale und internationale Privatinvestitionen zu reaktivieren. Dafür ist das derzeitige institutionelle System zu ändern ... Die Rechtsstruktur des Gesetzes trägt dazu bei, die kurz-, mittel- und langfristigen Investitionen für den Privatsektor ohne Grenzen zu ermöglichen, von der Exploration (neuer Erdölvorkommen) über die Ölförderung bis hin zur Industrialisierung und Kommerzialisierung dieser Produkte."

Und weiter:

"Die Kommunen dürfen weder die delegierten Aktivitäten noch die Transport- und Lageraktivitäten von Kohlenwasserstoffen in ihrem natürlichen Zustand besteuern oder die finanzielle Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Aktivitäten der Unternehmen beeinträchtigen(!)"

Garantien für die Erfüllung der Abmachung?

Die Frage ist, ob jene Länder, die bisher venezolanisches Vermögen zurückhielten, aufgrund dieses Abkommens nun bereit sein werden, es herauszugeben. Ein Satz des norwegischen Verhandlungsführers Dag Nylander verweist auf die trotz der Vereinbarung bestehenden Unsicherheiten über die Gelder für die humanitären Projekte:

"Sie müssen jedoch dafür Genehmigungen erhalten, die in der Verantwortung der Regierungen der Länder liegen, aus denen diese Ressourcen entnommen werden."  

Im Klartext: Wenn London die in der Bank of England gelagerten venezolanischen Goldbarren im Wert von einer Milliarde Dollar nicht freigibt, dann wird dieser Teil des Vertrags eben nicht verwirklicht. Oder neue Gerichtsverfahren verzögern die Abmachung.

Denn am 29. Juli verfügte das Oberste Gericht Englands, dass die Goldreserven weder an die venezolanische Regierung noch an die Opposition übergeben werden.

Das Gleiche gilt für die in den USA blockierten Vermögensanteile der PDVSA. Welche Garantien gibt es für die Erfüllung der Abmachungen? Wurde Venezuela bei dieser Vereinbarung über den Tisch gezogen?

Insofern ist der Vorgang in Mexiko nur ein erster Schritt, der den Weg für gewisse Erleichterungen bei den Sanktionen und dringend nötige internationale Investitionen im Bereich der venezolanischen Ölwirtschaft ebnen kann. Washington erlaubte ab Mitte des Jahres dem italienischen Energiekonzern Eni und dem spanischen Unternehmen Repsol, venezolanisches Öl nach Europa zu transportieren, um den dort herrschenden Mangel aufgrund der Sanktionen gegen Russland auszugleichen.

Genehmigungen für Chevron

Unmittelbar nach der Veröffentlichung der Bedingungen des Abkommens sagte der US-Finanzminister, dass Chevron – die zweitgrößte Ölgesellschaft der Vereinigten Staaten – nun die Bohrungen in Venezuela wieder aufnehmen könne.

Die Anwältin und Aktivistin María Alejandra Díaz Marín twitterte: "Dialog, Vereinbarung und Lizenz für Chevron, venezolanisches Öl zu fördern, ohne Lizenzgebühren oder Steuern an das Land zu zahlen und ohne Dividenden an PDVSA. Chevron betreibt und vermarktet das Öl. Die Regierung hebt das Gesetz über organische Kohlenwasserstoffe de facto auf. So viel Schwimmen, nur um am Ufer zu sterben!"

Die Sanktionsmaßnahmen haben für die südamerikanische Nation am Ende des Jahres 2021 zu kumulierten Verlusten von 240 Milliarden Dollar geführt.

Das Enteignungsmodell Venezuelas und Russlands

Das Enteignungsmodell Venezuelas hat einen historischen Vorgänger: Der Westen hat zwischen 1991 und 1999 das Äquivalent des heutigen gesamten Haushaltsvermögens Russlands gestohlen und nach Übersee transferiert, hauptsächlich nach London. Die Erpressung Venezuelas ist eine Blaupause für die geplante Erpressung Russlands, als "Kriegsziel" des Westens.

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