Asien

Die militärisch-strategische Dynamik des neuen Kalten Krieges im asiatisch-pazifischen Raum

Die chinesische Führung befürchtet, in eine Falle gelockt zu werden, nachdem offensichtlich geworden war, dass die USA das Land zu einem militärischen Vorgehen gegen Taiwan provozieren wollen. Die politisch unbequeme Wahrheit ist, dass China derzeit strategisch anfälliger ist als noch ein Jahrzehnt zuvor.
Die militärisch-strategische Dynamik des neuen Kalten Krieges im asiatisch-pazifischen RaumQuelle: Gettyimages.ru © Klubovy

Von Andrew Korybko

Der Neue Kalte Krieg zwischen der "Goldenen Milliarde" des von den USA geführten Westens und dem gemeinsam von BRICS und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) geführten Globalen Süden über die Richtung des globalen Systemwandels entfaltet sich derzeit besonders aktiv im asiatisch-pazifischen Raum. Diese Region ist die bevölkerungsreichste der Welt und damit sowohl ein Epizentrum von Globalisierungsprozessen als auch das wichtigste Schlachtfeld im globalen Wettbewerb zwischen diesen beiden De-facto-Blöcken. Dementsprechend sollte die aufkommende militärstrategische Dynamik für alle von Interesse sein.

Chinas entgleiste Supermacht-Pläne

Die USA räumten der Eindämmung Russlands durch den anhaltenden NATO-geführten Stellvertreterkrieg, den sie in der Ukraine provozierten, Priorität ein, da sie diese eurasische Großmacht als vergleichsweise schwächer als China einschätzen und annehmen, dass Moskaus unvermeidliche strategische Kapitulation die Pläne Washingtons gegen Peking vereinfachen würde. Die in der Ukraine einsetzende Pattsituation entlang der Kontaktlinie wird jedoch mit der Zeit zu einem strategischen Sieg Russlands führen, weshalb die USA Anfang August ihre antichinesischen Pläne vorangetrieben haben.

Die provokative Reise von Nancy Pelosi nach Taiwan fiel mit Bidens Unterzeichnung einer Verordnung über Computerchips zusammen. Mit der Reise von Pelosi wurde die Wiederaufnahme der vom US-Militär vorangetriebenen Strategie der "Hinwendung nach Asien" signalisiert, die aufgrund der Sonderoperation Russlands vorübergehend ausgesetzt worden war, während die Unterzeichnung der Verordnung über Computerchips eine große Eskalation im "Rennen um die Technologie" darstellte. Seitdem begann die EU-zentrierte NATO ihre Beziehungen zu den regionalen Verbündeten der USA in der asiatischen Region zu intensivieren, während ein neuer Marschplan für den indo-pazifischen Wirtschaftsraum die wirtschaftliche Stellung der USA stärkte.

Dieser neu entdeckte regionale militärisch-ökonomische Druck trug zu den unerwarteten systemischen Herausforderungen bei, die durch den Ukraine-Konflikt ausgelöst wurden, und riskierten, Chinas anvisierten Kurs hin zur Stellung einer Supermacht ins Schlingern zu bringen. Als Reaktion darauf begann Chinas neue Führung, deren Amtszeit nach dem 20. Nationalkongress im vergangenen Monat begann, die Parameter einer neuen Entspannung mit den USA zu analysieren, um vorübergehend etwas von ebenjenem Druck abzubauen und gleichzeitig Zeit zu gewinnen, um die Jahrespläne für die chinesische Wirtschaft neu zu kalibrieren.

Der Weg zu einer neuen amerikanisch-chinesischen Entspannung

Genau dies hatte bereits der weltweit renommierte China-Experte Henry Kissinger prognostiziert. Unklar bleibt dabei allerdings, ob am Ende ein pragmatischer Interessenausgleich zwischen diesen beiden Supermächten erreicht wird, um das verblassende bipolare System, deren jeweiliger Teil sie sind, aufrechtzuerhalten. Diese Zwischenphase des globalen systemischen Übergangs entwickelt sich aufgrund des meisterhaften Balanceakts Indiens schnell in Richtung Tripolarität – noch vor dem Erreichen seiner endgültigen Form einer komplexen Multipolarität.

Indien als aufstrebende Großmacht hat bewiesen, dass es in der Lage ist, sich pragmatisch zwischen der Goldenen Milliarde und dem Globalen Süden, dem es angehört, zu positionieren, um zum Königsmacher im neuen Kalten Krieg zu werden; zudem wird diese Rolle des Landes selbst von US-Medien und politischen Vertretern Amerikas anerkannt. Das sich daraus ergebende Zusammenspiel zwischen den USA, China, Russland und Indien – den vier weltweit bedeutendsten Akteuren im Systemwechsel – schafft auf faszinierende Weise die Grundlage, um eine neue Entspannung voranzutreiben.

Zu diesem Zweck führte der chinesische Verteidigungsminister in Kambodscha vor kurzem Gespräche mit seinem amerikanischen Amtskollegen, obwohl infolge der provokativen Reise Pelosis im vergangenen August der Dialog zwischen den Militärs ausgesetzt worden war. US-Außenminister Blinken plant außerdem, Peking Anfang nächsten Jahres zu besuchen, um auf den politischen Fortschritten aufzubauen, die beim ersten persönlichen Treffen beider Staatsführer während des G20-Gipfels in Indonesien erzielt wurden.

Regionale militärisch-strategische Neukalibrierungen

Dennoch sollte niemand erwarten, dass die USA einseitig Zugeständnisse in Angelegenheiten machen, die sie subjektiv als in ihrem nationalen Interesse stehend betrachten. Auf die Volksrepublik China wird weiterhin militärischer Druck ausgeübt werden, wie die Reise von Vizepräsidentin Harris auf die Philippinen bewiesen hat, die weithin als Bekräftigung der gegenseitigen Verteidigungsverpflichtung Amerikas gegenüber seinem Vertragspartner interpretiert wurde – inmitten eines hitzigen territorialen Streits mit China im Südchinesischen Meer.

Apropos Vertragspartner: All diese Länder sollen zum Kern eines US-geführten NATO-ähnlichen regionalen Militärbündnisses werden, das sich um die neu gegründete Militärplattform AUKUS herum bilden soll, auch wenn dies nie offiziell erklärt wird und alle Mitglieder am Ende dieselben gegenseitigen Verteidigungsverpflichtungen gegenüber allen anderen haben werden. Der Zweck dieser Plattform wird sein, den Aufstieg Chinas zur Supermacht einzudämmen, unabhängig davon, ob in der Entspannungspolitik Fortschritte erzielt werden. In der Praxis spielen Australien, Japan, die Philippinen, Südkorea und Thailand dabei eine führende Rolle.

Die neue Normalität

Die schrittweise Expansion der NATO in den asiatisch-pazifischen Raum wird die militärischen Fähigkeiten und das Gesamtpotential ihres aufstrebenden Gegenspielers ergänzen und so dazu beitragen, die Eindämmung Chinas durch die USA zu maximieren. Während bislang unklar ist, welche Rolle Taiwan in diesem von den USA geführten Rahmen spielen wird, ist denkbar, dass Washington das Land auf Distanz hält, sofern dadurch eine neue Entspannung erreicht und eine Provokation Pekings vermieden werden kann. Niemand sollte jedoch erwarten, dass damit die umfassende Zusammenarbeit zwischen Washington und Taipeh enden wird.

Die großen strategischen Herausforderungen, vor denen China in seiner unmittelbaren Nachbarschaft steht, werden sich daher voraussichtlich verschärfen und bis zu dem Punkt institutionalisiert werden, an dem sie zur "neuen Normalität" geworden sind. Die neu gegründete Militärplattform AUKUS+ im asiatisch-pazifischen Raum wird zur Grundlage für den Ausbau eines geplanten Wirtschaftsnetzwerks, das China wie nie zuvor auf ganzer Linie unter Druck setzen wird.

Solange die von Taiwan erklärte "rote Linie Nummer eins" nicht überschritten wird, wird die Volksrepublik wahrscheinlich keine eigene, der russischen ähnelnde Spezialoperation als Reaktion auf dieses unbezweifelbare Sicherheitsdilemma beginnen. Diese Vorhersage lässt sich dadurch untermauern, dass Chinas große Strategie durch die Kombination der systemischen Herausforderungen, die durch den Ukraine-Konflikt ausgelöst wurden, und den opportunistischen militärisch-ökonomischen Schritten der USA völlig aus der Bahn geworfen wurde.

Chinas pragmatische Antwort auf die Falle der USA

Die Führung Chinas, sowohl die von vor dem 20. Nationalkongress im vergangenen Oktober als auch deren neue Mitglieder, die ihr Amt danach antraten, befürchtet, in eine Falle gelockt zu werden. Denn inzwischen war offensichtlich geworden, dass die USA das Land zu einem militärischen Vorgehen gegen Taiwan provozieren wollen, noch bevor Peking dazu bereit ist. Die politisch unbequeme Wahrheit ist, dass China derzeit strategisch anfälliger ist als noch vor einem Jahrzehnt, weshalb beschlossen wurde, Zeit zu gewinnen, um die Jahrespläne neu zu kalibrieren.

Dies erklärt, warum der Dialog mit den USA auf Ebene der Verteidigungsminister wieder aufgenommen wurde, obwohl die USA nichts im Gegenzug angeboten haben. Dasselbe gilt für die Bemühungen von Präsident Xi gegenüber Australiens neuem Staatschef, obwohl Australien bei keiner seiner nicht provozierten Aggressionen gegenüber China, die für die Verschlechterung der Beziehungen im letzten halben Jahrzehnt verantwortlich waren, einen Rückzieher gemacht hat.

Wo sind all die "Wolfskrieger" geblieben?

Um es klar zu sagen, diese scheinbar einseitigen Zugeständnisse auf Chinas Seite sind zunächst nur oberflächlich und werden aus Gründen des guten Willens gemacht, um die Diskussionen über die neue Entspannung auf die nächste Ebene zu heben. Aber unbeabsichtigterweise bestätigen sie auch, wie strategisch verwundbar China derzeit ist. Die Optik dieser Schritte steht im Kontrast zu der Wahrnehmung der chinesischen Politik, die zuvor von den sogenannten "Wolfskriegern" vorangetrieben wurde, um die es seltsam still geworden zu sein scheint.

Ihre Stimmen erreichten Anfang August noch vor der provokanten Reise von Pelosi ein Crescendo, wurden dann aber nach Chinas ruhiger und strategisch verantwortungsvoller Reaktion – oder dem Fehlen einer solchen – schnell zum Schweigen gebracht. Im Nachhinein deutete diese Entwicklung hin zur "sanften Machtdemonstration" darauf, dass sich die großen strategischen Berechnungen der chinesischen Führung aus den zuvor genannten Gründen stillschweigend zu ändern begonnen hatten. Daher die Notwendigkeit, "die Wolfskrieger zu zähmen" – zumindest vorerst –, während die Parameter einer neuen Entspannung erkundet werden, um den guten Willen in den Gesprächen zu bewahren.

Die chinesischen Medien sollten daher nach Hinweisen auf jene Fortschritte beobachtet werden, die hinter den Kulissen beim Erreichen eines pragmatischen Einflussausgleichs zwischen den beiden Supermächten gemacht werden. Der anhaltende Trend, die USA im Allgemeinen und insbesondere in Bezug auf ihre Beziehung zu China nur mäßig zu kritisieren und gelegentlich sogar zu loben, spricht dafür, dass vorerst alles auf Kurs bleibt. Erwartet wird, dass dies mindestens bis zur Reise Antony Blinkens nach Peking Anfang 2023 der Fall sein wird.

Abschließende Gedanken

In der Zwischenzeit werden die USA versuchen, ihre militärisch-ökonomischen Errungenschaften im asiatisch-pazifischen Raum weiter zu festigen, um sie zu einer "neuen Normalität" zu machen. China soll damit in Schach gehalten werden, unabhängig davon, ob eine neue Entspannung letztendlich erreicht wird; und gleichzeitig zur "Gesichtswahrung" dienen, wenn es seine ohnehin schon umfassende Zusammenarbeit mit Taiwan als "Zugeständnis" an Peking einfriert. Solange Chinas "rote Linie Nummer Eins" nicht überschritten wird, bleibt die militärstrategische Dynamik auf Kurs.

Aus dem Englischen.

Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung spezialisiert hat .

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