Nahost

Israel: Zehntausende protestieren gegen Netanjahus umstrittene Gesetzesreform

Premierminister Benjamin Netanjahu, der wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht steht, hat die Änderung des israelischen Rechtssystems zu einem Kernstück seiner Agenda gemacht. Innerhalb der Bevölkerung und der Opposition stoßen die Pläne jedoch auf Kritik.
Israel: Zehntausende protestieren gegen Netanjahus umstrittene GesetzesreformQuelle: www.globallookpress.com © Ilia Yefimovich

In mehreren Städten Israels haben am Samstag Zehntausende Demonstranten gegen die neue Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu und dessen Pläne, weitreichende Änderungen am israelischen Justizsystem vorzunehmen, protestiert. "Sie versuchen, die Kontrolle und das Gleichgewicht der israelischen Demokratie zu zerstören. Das wird nicht funktionieren", erklärte Asaf Steinberg, ein Demonstrant aus dem Tel Aviver Vorort Herzliya, gegenüber der Washington Post. "Wir werden bis zur letzten Minute kämpfen, um die israelische Demokratie zu retten." Netanjahu, der wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht steht, hat die umstrittenen Änderungen am Rechtssystem des Landes zu einem Kernstück seiner Agenda gemacht.

Trotz der Warnungen der Polizei vor möglicher Gewalt und der Aufforderung des Ministers für Nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, die Polizei solle gegen jegliche Unruhen vorgehen, waren allein auf dem Habima-Platz in Tel Aviv am Samstagabend zwischenzeitlich etwa 80.000 Menschen zusammengekommen, wie israelische Medien unter Berufung auf die Polizei berichteten. Viele in der großen Menschenmenge, die den Platz schnell überflutete, trugen israelische Flaggen und Plakate, auf denen sie die Pläne der Koalition anprangerten, das Justizsystem zu beschneiden, darunter Flaggen und Schilder mit Slogans wie "Kriminelle Regierung" oder "Das Ende der Demokratie". Auch in Jerusalem und Haifa fanden demnach Demonstrationen statt. 

Unter den Teilnehmern befanden sich neben empörten Bürgern auch die ehemalige Oppositionsführerin Tzipi Livni, der ehemalige Premierminister Ehud Barak, der Vorsitzende der Partei der Nationalen Einheit sowie der ehemalige Verteidigungsminister Benny Gantz. Aber auch der Vorsitzende der Arbeitspartei Merav Michaeli und der Vorsitzende der Ra'am-Partei Mansour Abbas waren vertreten. Auf der Bühne in Tel Aviv schwor Livni, dass "niemand über dem Gesetz stehen wird, nicht einmal der Premierminister", womit sie sich auf das laufende Korruptionsverfahren gegen Benjamin Netanjahu bezog:

"Ich rufe die gesamte israelische Öffentlichkeit, von links bis rechts, auf, für den Schutz der israelischen Demokratie zu demonstrieren. Sich in dieser Zeit Gehör zu verschaffen, ist eine Bürgerpflicht von höchster Wichtigkeit und kein 'ziviler Ungehorsam', wie diejenigen behaupten, die versuchen, die Demonstration zu unterdrücken."

Seit nunmehr zwei Wochen protestieren Gegner der Regierung Netanjahu gegen die Pläne von Justizminister Yariv Levin, die bisher unabhängige israelische Justiz weitgehend zu entmachten, indem er die Befugnisse des Obersten Gerichtshofs zur gerichtlichen Überprüfung stark einschränken und die politische Kontrolle über die Ernennung von Richtern zementieren will. Israel verfügt über keine Verfassung. Das Fundament der politischen Ordnung in dem Land bilden stattdessen zwölf Grundgesetze. Es ist Aufgabe des Obersten Gerichts in Jerusalem, Gesetzesvorhaben zu verhindern, die dem Geist dieser Gesetze widersprechen. Somit ist es die wichtigste Kontrollinstanz der Exekutive und sorgt für ein Gleichgewicht der Gewalten.

Vor allem Netanjahus konservativer Likud-Partei ist der Oberste Gerichtshof deshalb ein Dorn im Auge. Hat er doch ihre Gesetze, welche etwa die Rechte von Minderheiten einschränken würden, wiederholt gekippt. Die neu gewählte Regierung, in der mehrere vorbestrafte Minister sitzen – Netanjahu selbst muss sich aktuell wegen Korruption vor Gericht verantworten –, will daher den Obersten Gerichtshof entmachten. Gemäß den Plänen von Justizminister Levin soll das Parlament Entscheidungen des Gerichts künftig mit einfacher Mehrheit überstimmen können. Sollte die Gesetzesinitiative tatsächlich beschlossen werden, könnte die Regierung etwa entscheiden, Netanjahu Immunität zu gewähren und den Korruptionsprozess gegen ihn zu stoppen.

Das Oberste Gericht könnte dies zwar dann weiterhin für ungültig erklären, allerdings wäre das Urteil für das Parlament nicht mehr bindend. Die Oberste Richterin am Gerichtshof warnte daher wiederholt davor, dass die Verabschiedung des umstrittenen Gesetzespakets dem demokratischen Charakter des Landes einen "fatalen Schlag" versetzen würde. Netanjahu wies unterdessen die Kritik an der Gesetzesinitiative zurück. "Wir haben dies vor den Wahlen besprochen, und wir haben von der Öffentlichkeit ein klares Mandat dafür erhalten", erklärte Netanjahu am Freitag in einem Video. "Ich schlage vor, dass sich alle beruhigen und in eine sachliche Diskussion eintreten." Er fügte hinzu: "Wenn sie sagen, dass die kleinste Reform die Zerstörung der Demokratie ist, dann ist das nicht nur eine falsche Behauptung, sondern bietet auch nicht die Möglichkeit, durch einen substanziellen Dialog in der Knesset zu einer Verständigung zu kommen."

Kritiker der Pläne, zu denen hochrangige derzeitige und ehemalige Justizbeamte sowie Netanjahus politische Rivalen gehören, bemängeln, Levins Reformen würden grundlegende Bürger- und Minderheitenrechte gefährden, da die Befugnis des obersten Gerichts, Gesetze und Regierungsbeschlüsse zu kippen, nahezu aufgehoben würde und die Regierungsmehrheit die Kontrolle über die Ernennung von Richtern bekäme. Das bedeutet, dass die Justiz nicht mehr als Kontrollinstanz gegenüber der politischen Führung dienen könnte.

Die Befürworter der Änderungen argumentieren hingegen, die Gerichte hätten sich übermäßige Befugnisse angemaßt und Urteile gefällt, die dem Willen der Wählerschaft zuwiderliefen.

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