Europa

Bumerang statt Druckmittel: Gaslieferungen Russlands nicht ersetzbar

In Washington, D.C. hat man proaktiv begonnen, einen "Notfallplan" für Europas profitable Belieferung mit verflüssigtem Erdgas zu schmieden. Während hierzulande die Rhetorik beim Thema Nord Stream 2 als Druckmittel weiter verschärft wird, warnen Experten vor der Illusion, russische Gaslieferungen seien durch US-Flüssiggas zu ersetzen.
Bumerang statt Druckmittel: Gaslieferungen Russlands nicht ersetzbarQuelle: www.globallookpress.com

Bisher lautete der Tenor der um das Projekt Nord Stream 2 gespaltenen westlichen Allianz, Moskau dürfe die Lieferung von Erdgas nicht als Machtinstrument missbrauchen. Im Konflikt um die NATO-Osterweiterung als von Russland empfundene Sicherheitsbedrohung durch den Westen rückt man in Berlin von bisherigen Positionen ab, seinerseits die Pipeline als Druckmittel gegen Moskau nutzen zu können. Denn neben der Wirtschaft dürften solche Ideen auch die Bürger in den betroffenen Ländern, insbesondere in Deutschland, in größte Unruhe versetzen.

Während die US-Regierung bereits nicht näher erläuterte Notfallpläne für eigene Gaslieferungen nach Europa vorzubereiten versucht und die EU-Kommission auf Notfallpläne für den Fall eines Lieferstopps des Erdgases aus Russland verweist, warnen Energie- und Wirtschaftsexperten laut dem Handelsblatt, dass geplante Ersatzlieferungen von Flüssiggas aus den USA die Gas-Lieferungen Russlands im Ernstfall gar nicht ersetzen könnten.

Die bereits jetzt bestehende, alarmierende Erdgaskrise in Europa angesichts ungewöhnlich hoher Preise bei zugleich abnorm geringen Reserven in den westeuropäischen Speichern könnte im Falle einer längeren Wintersaison für Millionen Westeuropäer zu Problemen führen. Die Europäische Union (EU) bezieht rund ein Drittel ihres Gasbedarfs  aus Osteuropa, und speziell Deutschland importiert sogar mehr als die Hälfte des hiesigen Erdgasbedarfs aus Russland. Zu Beginn des Jahres 2021 waren die Gasspeicher in Europa nur zu 56 Prozent gefüllt, verglichen mit 73 Prozent des maximalen Füllstands noch ein Jahr zuvor. Bei den deutschen Speichern ist absehbar, dass sie bis zum Stichtag 1. Februar 2022 deutlich unter der Mindestfüllgrenze zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit liegen werden. 

Während der Anstieg der Heiz- und Stromkosten für viele Haushalte europaweit schon dramatisch geworden sind, setzen einige Politiker ohne den Zwang zu Wollsocken oder improvisierten Heizungs-Alternativen darauf, eine augenscheinlich besser gesicherte Versorgung mit Erdgas durch Nord Stream 2 in der Auseinandersetzung um die NATO-Osterweiterung als Druckmittel zu opfern. So wetterten Kommentatoren von US-Medien aus der Ferne, Biden solle beim Verhängen von Sanktionen auch seine Zurückhaltung gegen Russlands begehrte Pipeline Nord Stream 2 überdenken.

Der Senior-Berater für Energiesicherheit im Außenministerium der Vereinigten Staaten mit Zuständigkeit für die Politik bezüglich der deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream 2 Amos Hochstein – ein Lobbyist mit Kontakten in den ukrainischen Energiesektor und damit seit Langem auch ein ausgesprochener Gegner von Nord Stream 2 – lotete jüngst zusammen mit europäischen Energieunternehmen aus, ob und wie Speicherkapazitäten, Bevorratung und Maßnahmen beim Verzicht von Wartungsarbeiten an den Produktionsstandorten geeignet wären, um russische Gaslieferungen kurzfristig zu ersetzen. Ende vergangener Woche hatte der US-Präsident einen "Notfallplan für die Gasversorgung Europas" für den Fall der Eskalation um die Ukraine und dadurch ausbleibende russische Gaslieferungen in Auftrag gegeben.

Kein Machtmissbrauch von Energieprojekten ?

Schon im Juli hatte man in Washington, D.C. damit gedroht, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, falls die Regierung in Moskau die Pipeline als "Waffe" gegen die Ukraine einsetzen würde. Auch Baerbocks jüngster Auftritt in Russland kam nicht ohne die Unterstellung eines möglichen Machtmissbrauchs des Energieprojekts durch Russland aus. Obwohl Russland seit jeher und auch jüngst noch vor dem Hintergrund der Sicherheitsbedrohung durch die NATO-Aktivitäten an seinen Grenzen stets betont hat, dass die Gasversorgung ein rein wirtschaftliches Projekt ist und Lieferverträge erfüllt werden, drohen nun mehrere westliche Stimmen damit, den Gasimport als Verhandlungsmasse gegen Russland einbringen zu wollen.

Am Dienstag sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach dem Treffen mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in einer Pressekonferenz, Berlin könne "erwägen, die Nord Stream 2-Pipeline zu stoppen, wenn Russland die Ukraine angreift". Eine weitere Option sei es, die fertig gebaute, aber derzeit durch Brüsseler Vorgaben ausgebremste Gaspipeline zu sanktionieren. Früher noch hatte Scholz realitätsbewusst betont, dass es sich bei Nord Stream 2 vorrangig um ein privatwirtschaftliches Projekt handele. 

Am gleichen Tag erwähnte derartiges Drohpotenzial auch Michael Roth, ein Außenpolitiker der Sozialdemokraten, die aufgrund eines diplomatischen Ansatzes gegenüber Russland als "Softies" dargestellt oder – wie sich soeben erst Die Zeit wieder bemüht – als "Putinversteher" diffamiert werden. Auf die suggestive Frage des ARD- Morgenmagazin-Moderators nach möglichen Kosten für Russlands Verhalten verwies auch Roth darauf, dass Nord Stream 2 nunmehr wohl doch kein rein privatwirtschaftliches Projekt mehr sei, sondern jetzt als Druckmittel genutzt werden müsse. Der Moderator Michael Stempel fragte kopfschüttelnd und todernster Mimik: "Man soll keine Waffen liefern an die Ukraine, man soll Russland nicht aus dem Finanzsystem SWIFT 'rausschmeißen, man soll Nord Stream 2 aus diesen Verhandlungen komplett herauslassen – glauben Sie, dass Putin so beeindruckt werden kann?"

Roth betonte, dass der Subtext des Antrittsbesuchs der Außenministerin Baerbock in Moskau beinhalte, dass man auf eine diplomatisch-politische Lösung setze. Doch gehören laut Roth auch Sanktionen zu den diplomatischen Instrumenten. Seiner Ansicht nach könne man nicht vorschnell irgendetwas ausschließen, sondern alles müsse auf den Verhandlungstisch kommen. Begründet hat er diese Abweichung von früheren Positionen seiner eigenen Partei damit, dass man in der Ostpolitik der Europäischen Union eben mit einer Stimme sprechen und daher auch die Forderungen anderer EU-Mitglieder berücksichtigen müsse. Dabei nannte Roth natürlich Länder wie Polen als ein Land, das seit Langem (auch aus wirtschaftlichem Eigennutz) gegen die deutsch-russische Ostsee-Pipeline ist, sowie auch die baltischen Länder, aber auch die Interessenlage der Ukraine. Daher müsse man anerkennen, dass das "Thema Nord Stream 2 von Beginn an zu großem Ärger und zu Spaltungen geführt hat", meinte Roth. "Und wenn wir wirklich zu Sanktionen kommen sollten, (...) dann können wir nicht im Vorhinein Dinge ausschließen, die möglicherweise von unseren Partnern in der Europäischen Union eingefordert werden."

Während sich die deutsche SPD so resolut gibt, konnte jedoch der erwähnte, erst im Herbst vergangenen Jahres ernannte US-Sondergesandte für Energiefragen keine Lösung bieten, die westeuropäische Konsumenten beruhigen könnte, wenn Gaslieferungen nun plötzlich vonseiten der Importeure als "Waffe" oder als Teil ihres "Diplomaten-Instrumentenkastens" benutzt werden sollten, wie Roth es umschrieb.

Am Mittwoch warnte Dmitri Peskow als Sprecher des Präsidenten im Kreml angesichts der Drohungen des Westens vor weiteren Verzögerungen bei der Inbetriebnahme von Nord Stream 2: "Die Tatsache, dass sie noch nicht in Betrieb genommen wurde, ist sowohl für die an diesem Projekt Beteiligten als auch für die Gasverbraucher in Europa schlecht", wird Peskow von der Agentur Interfax zitierte. "Wir möchten, dass unsere Gesprächspartner, auch in Deutschland, dies beachten", sagte Peskow. Die Lage in dem Konflikt sei "sehr angespannt". Im Kreml kritisierte man erneut, dass die Spannungen durch den Westen, nämlich unter anderem mit Waffenlieferungen an die Ukraine, Militärmanövern und Aufklärungsflügen der NATO entlang der russischen Grenzen weiter verschärft würden.

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