Europa

Corbyn abgesägt: Britische Labour-Partei verabschiedet sich von linker Vergangenheit

Die Labour-Partei hat sich ihres linken Flügels entledigt. Der ehemalige Labour-Chef Jeremy Corbyn bleibt nach einer Abstimmung außen vor. Vordergründig ging es um den Makel des Antisemitismus. Damit haben sich die Befürworter des früheren Premiers Tony Blair profiliert.
Corbyn abgesägt: Britische Labour-Partei verabschiedet sich von linker VergangenheitQuelle: www.globallookpress.com © Vuk Valcic/Keystone Press Agency/ Global Look Press

Der Holocaust-Gedenktag bietet in dieser Woche Anlass, auf das tatsächliche Problem des Antisemitismus hinzuweisen. Der Fall des ehemaligen Labour-Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn in Großbritannien zeigt hingegen, wie der Vorwurf des Antisemitismus politisch instrumentalisiert werden kann. Etwa um missliebige Politiker in vermeintlichen Demokratien loszuwerden.

Einem Antrag auf Wiedereinsetzung des ehemaligen Labour-Chefs erteilte der Nationale Exekutivausschuss (NEC) der Labour-Partei nun eine Absage – mit der Begründung, dass er Aussagen zu seiner Verteidigung gegen ungerechtfertigte Anschuldigungen nicht zurücknehmen wollte. Die NEC-Mitglieder Ian Murray und Nadia Jama hatten in einem Antrag die Wiedereinsetzung Jeremy Corbyns in den Parteivorstand als sogenannten Whip gefordert. Die Suspendierung des Labour-Chefs bezeichneten sie als "zutiefst spaltend" und "extrem respektlos" gegenüber den Menschen, die Jeremy Corbyn seit Jahrzehnten zu ihrem Labour-Abgeordneten gewählt hatten.

Konkret hieß es in dem Antrag:

"Der Ausschluss des amtierenden Parlamentsmitglieds aus dem Verfahren ist äußerst respektlos gegenüber den Bürgern von Islington North, die Jeremy Corbyn mit überwältigender Mehrheit seit fast vier Jahrzehnten zu ihrem Labour-Abgeordneten gewählt haben.

Der Ausschluss von Jeremy Corbyn bei den nächsten Parlamentswahlen birgt die zusätzliche Gefahr, dass die örtlichen Wähler die Labour-Partei bestrafen, wenn sie nicht den von ihnen gewünschten Kandidaten aufstellen, und dabei einen riesigen Medienrummel verursachen."

Seit 1983 ist Jeremy Corbyn Abgeordneter in dem Londoner Stadtteil Islington. Die Islington Friends of Jeremy Corbyn, darunter auch jüdische Mitglieder, fordern seine Wiedereinsetzung.

Der ehemalige Vorsitzende der Labour-Partei saß seit Oktober 2020 als Unabhängiger im Parlament. Zuvor hatte ein Untersuchungsbericht die Partei und vor allem Corbyn als antisemitisch eingestuft. Unter anderem wurde ihm vorgeworfen, dass er eine zusätzliche qualifizierende Aussage zu einer Definition gefordert hatte, die Kritik an den "diskriminierenden Auswirkungen" der Politik Israels, den "Umständen seiner Gründung" und der "Unterstützung einer anderen Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts" erlauben würde.

Im April 2020 wurde Corbyn von Sir Keir Starmer als Labour-Chef abgelöst. Die Suspendierung von Corbyns Parteimitgliedschaft war zwar offiziell aufgehoben worden. Doch veranlasste Starmer, dass ihm die Position als Party Whip vorenthalten wird. Und damit wurde Corbyn faktisch als Labour-Abgeordneter suspendiert.

Mehr zum Thema - Geleaktes Dossier: Wie Labour-Funktionäre wegen Jeremy Corbyn die eigene Partei sabotierten

Vordergründig stand der schwere Vorwurf von Antisemitismus gegen Corbyn im Raum. Der Politiker ist ein langjähriger Befürworter der Rechte der Palästinenser. Einige seiner Aktionen zur Unterstützung dieser Sache wurden während seiner Amtszeit als antisemitisch eingestuft.

Zwischenzeitlich ist eine massive Kampagne zur Diskreditierung und Demontage gegen Corbyn durch Mitglieder seiner eigenen Partei bekannt geworden. Dabei war der Vorwurf des Antisemitismus nur allzu dienlich. An der anhaltenden Verleumdungskampagne beteiligten sich entsprechend auch israelische Medien. Als das Amt des Premierministers in greifbare Nähe des damaligen Labour-Chefs Corbyn zu rücken schien, hatte ein General der britischen Armee mit einer Meuterei gedroht, sollte die Linke jemals an die Macht kommen. Nach Ansicht seiner Befürworter wurde Corbyn in einer von den Medien unterstützten, vom Blair-Flügel der Partei orchestrierten Hetzkampagne verleumdet, weil seine Anti-Austeritäts- und Antikriegspositionen missfielen. Ein 860 Seiten langes Dossier mit geleakten WhatsApp-Nachrichten und E-Mails soll schon im Jahr 2020 aufgezeigt haben, wie leitende Labour-Funktionäre den eigenen Wahlkampf im Jahr 2017 untergruben, um so Jeremy Corbyn als Labour-Chef zu sabotieren.


Corbyn selbst bezeichnete die Aktion damals als "politische Intervention" mit dem Ziel, ihn aus der Partei auszuschließen. Während er betonte, dass er sich mit Antisemitismus in der Partei kritisch auseinandergesetzt und sich allen Formen des Rassismus entgegen gestellt habe. Dies wiederum bestätigte unter anderem auch das Netzwerk für jüdische Labour-Mitglieder. Hinzu kam, dass Labour-Mitglieder suspendiert wurden, die Keir Starmer öffentlich dafür kritisiert hatten, eine Antisemitismus-Untersuchung zu nutzen, um gegen den ehemaligen Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn vorzugehen.

In der Tat waren der Partei unter Corbyns Führung Hunderttausende von Mitgliedern beigetreten, während unter Keir Starmer sehr viele austraten. Unter Corbyn erzielte die Labour-Party den größten Zuwachs an Wählerstimmen seit 1945. Doch der Antrag wurde jetzt am 24. Januar mit 23 zu 14 Stimmen bei einer Enthaltung abgelehnt, und auch nicht weiter diskutiert.

"Die heutige NEC-Abstimmung und Keir Starmers anhaltende Entscheidung, mich als Labour-Abgeordneter auszuschließen, ist enttäuschend", twitterte Corbyn selbst. Er fügte hinzu, dass er aber dankbar für die Unterstützung sei, die er erhalten habe.

Begründet wurde die Ablehnung des Antrags damit, dass Corbyn nicht auf einen Brief vom November 2020 geantwortet habe. Darin war eine umfassende Entschuldigung seinerseits für eine Äußerung gefordert worden. Das Ausmaß des Antisemitismus in der Labour-Partei werde "aus politischen Gründen von unseren Gegnern innerhalb und außerhalb der Partei sowie von einem Großteil der Medien dramatisch übertrieben."

Nach der NEC-Abstimmung ist die Labour-Abgeordnete Laura Pidcock aus dem Führungsgremium der Partei ausgetreten. Sie begründete dies mit der anhaltenden Suspendierung von Jeremy Corbyn, und mit dem Übertritt des Tory-Abgeordneten Christian Wakeford. Außerdem sei die derzeitige Labour-Führung "ideenlos, ohne Vision" und hätten "nur kleine Korrekturen am Status quo" im Programm.

Die britische Schattenkanzlerin und Labour-Politikerin Rachel Reeves erklärte jüngst, die Labour-Partei habe ihre linke Vergangenheit unter Jeremy Corbyn hinter sich gelassen. Sie vertrete nun eine "völlig andere Mentalität" gegenüber Unternehmen und der Wirtschaft – sie zeige sich nämlich deren Interessen gegenüber gewogener. Dies sei auch notwendig, um der Partei Auftrieb zu geben. Es sei gar eine "gute Sache", dass die Mitgliederzahlen der Labour-Partei abnähmen. Denn dies erlaube es der Partei, sich von unwillkommenen Anhängern zu trennen und sich des Makels des Antisemitismus zu entledigen.

Nach Einschätzung der World Socialist Webseite nutzten die "Blairisten" in der Partei den Antrag als Gelegenheit, "der herrschenden Klasse ihre vollständige Kontrolle über die Partei zu demonstrieren." Damit hätten endgültig diejenigen die Oberhand in der Partei gewonnen, die laut RT-Journalist Neil Clark "die Aussicht auf einen kriegsgegnerischen britischen Premierminister, der den außenpolitischen Konsens der Falken bedrohen würde, einfach nicht ertragen konnten."

Inwieweit dies der Zustimmung der Partei in der britischen Bevölkerung dient, bleibt abzuwarten. Zu Beginn des Jahres erhielt eine Petition gegen die Ehrung des ehemaligen Premierministers Tony Blar jedenfalls in kurzer Zeit sehr viel Unterstützung. Traditionsgemäß war auch Blair als ehemaliger Premierminister von der Queen in den Ritterstand erhoben worden. Doch innerhalb weniger Tagen unterzeichneten 600.000 Menschen eine Online-Petition dagegen. Diese wirft Blair vor, er sei "persönlich verantwortlich" für den Tod zahlloser Zivilisten und Soldaten in "verschiedenen Konflikten". Statt zum Ritter aufzusteigen, sollte "er für Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen werden."

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