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Gesetzliche Krankenkassen: Reformen statt unendliche Steigerungen der Beitragssätze

Angesichts einer erwarteten Milliardenlücke der Krankenkassen hat die Ampel unter anderem eine Anhebung der Beitragssätze ins Spiel gebracht. Allerdings plädieren die gesetzlichen Krankenkassen für Reformen – ein Treffen mit Gesundheitsminister Lauterbach wurde jedoch erneut abgesagt.
Gesetzliche Krankenkassen: Reformen statt unendliche Steigerungen der BeitragssätzeQuelle: www.globallookpress.com © Christian Ohde / imago-images/ Global Look Press

Bereits jetzt betragen die allgemeinen Beitragssätze ohne die von den Kassen individuell weiterhin erhobenen Zusatzbeiträge 14,6 Prozent vom Einkommen. Zu Beginn des Jahres wurde wegen erneuter Erhöhung der Zusatzbeiträge vor einem "Beitragstsunami" gewarnt, da Millionen Versicherte mit Mehrkosten von bis zu 261 Euro im Jahr rechnen müssten.

Dennoch ist einerseits die Versorgung nicht wirklich überall als gut zu bezeichnen – im Jahr 2035 könnten 11.000 Hausärzte fehlen – und andererseits reicht dennoch die Finanzierung nicht aus. Laut Fachleuten klafft für das Jahr 2023 bei der gesetzlichen Krankenversicherung eine Finanzlücke in Höhe von 17 Milliarden Euro. Bei der sozialen Pflegeversicherung fehlen mindestens 2,5 Milliarden Euro. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigte deshalb bereits im Frühjahr als besonders originellen Lösungsvorschlag zusätzliche Beitragssatzsteigerungen an.

Am Mittwoch forderten die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) rasche Klarheit für eine stabilere Finanzierung. "Es drängt massiv", sagte die Vorstandschefin des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer, in Kremmen bei Berlin. Sie äußerte sich enttäuscht, dass Lauterbach (SPD) bisher keinen Gesetzentwurf vorgelegt habe. Statt Jahr für Jahr immer wieder um "unstete Sonderfinanzierungen" zu diskutieren, brauche es grundsätzlich eine höhere nachhaltige Regelfinanzierung.

Pfeiffer verwies auf die Milliardenlücke für das Jahr 2023 und kritisierte, dass dieses Problem auch auf politische Entscheidungen zurückzuführen sei. Demnach führten unter anderem Gesetze für mehr Pflegepersonal oder kürzere Wartezeiten beim Arzt allein zu dauerhaften Mehrkosten von fünf Milliarden Euro pro Jahr. Allerdings bestehe auch genau hier enormer Nachbesserungsbedarf: Seit gut zehn Jahren sind nicht nur die extrem ungleichen Wartezeiten von gesetzlich und privat Versicherten ungelöstes Thema in der öffentlichen Diskussion, sondern auch die Unmöglichkeit, überhaupt Termine zu erhalten.

Die Kassen schlugen für mittelfristig stabile Finanzen unter anderem vor, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel zu senken. Es handele sich um lebenswichtige Produkte, sagte Pfeiffer. Eine Senkung von den vollen neunzehn Prozent auf den ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent würde sechs Milliarden Euro Entlastung bringen.

Der Verband forderte zudem, den bei 14,5 Milliarden Euro im Jahr "eingefrorenen" regulären Zuschuss zur Krankenversicherung aus dem Bundesetat bei steigenden Ausgaben regelmäßig zu erhöhen. Zudem seien die Pauschalen, die der Staat als Beitrag für Hartz-IV-Empfänger zahlt, deutlich zu niedrig.

Lauterbach hatte signalisiert, dass er mehrere Bausteine im Blick hat – das Nutzen von "Effizienzreserven" im Gesundheitssystem und Rücklagen der Krankenkassen, zusätzliche Bundeszuschüsse sowie auch Beitragsanhebungen. "Wir müssen an vier Stellschrauben drehen: Effizienzreserven im Gesundheitssystem heben, Reserven bei den Krankenkassen nutzen, zusätzliche Bundeszuschüsse gewähren und die Beiträge anheben", sagte Lauterbach der Neuen Osnabrücker Zeitung im März.

Obwohl der Begriff "Effizienzreserven" im Gesundheitsbereich vor allem von berüchtigten Lobbyverbänden wie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft geprägt wurde, betonte Lauterbach: "Lobbyinteressen werden bei der Sanierung der Kassenfinanzen keine Rolle spielen."

Der Vorschlag beinhaltete unter anderem Einschnitte für die Arzneimittelbranche, um die Medikamentenausgaben zu senken. Seit März hat sich das Gesundheitsministerium davon distanziert, allerdings bisher ohne konkrete Alternativen vorzulegen. Am Mittwoch war es bereits das dritte Mal, dass der Gesundheitsminister kurzerhand einen Termin mit der Führung des GKV-Spitzenverbands abgesagt hat. Entsprechend frustriert soll der Verwaltungsratsvorsitzende Uwe Klemens reagiert haben. Er habe "die Faxen dicke" und "stehe für einen Termin mit Herrn Lauterbach nicht mehr zur Verfügung".

Die Lücke von 17 Milliarden Euro würde laut GKV-Chefin Pfeiffer einer Beitragsanhebung um 1,1 Prozentpunkte entsprechen. Sie wies auch auf Auswirkungen auf Kassenmitglieder und Arbeitgeber angesichts der derzeit hohen Inflation hin. Rein rechnerisch entsprechen 0,1 Punkte beim Beitragssatz demnach Einnahmen von 1,6 Milliarden Euro.

In diesem Jahr bekommen die Kassen bereits einen aufgestockten Bundeszuschuss von 28,5 Milliarden Euro. Damit soll der durchschnittliche Zusatzbeitrag vorerst bei 1,3 Prozent gehalten werden. Die konkrete Höhe ihres Zusatzbeitrags legen die Kassen selbst fest. Laut dem Dienstleister Bitmarck, ein privates Unternehmen im Bereich Digitalisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, ist die Finanzierungslücke sogar noch weitaus größer und betrage 24 Milliarden Euro.

In dem Fall müsste der Beitrag gar auf 2,75 Prozent angehoben werden, was bei einem Bruttomonatseinkommen von 3000 Euro eine Mehrbelastung von 522 Euro pro Jahr ausmachen würde, wie das Handelsblatt vorrechnete. Die Ankündigung möglicher Beitragssatzerhöhungen inmitten einer historisch hohen Inflationsrate führte bereits zu einigem Protest. Vor dem Hintergrund der insgesamt immens belastenden Teuerungen zeigte sich in den sozialen Medien, dass die zusätzliche einseitige Belastung von gesetzlich Versicherten zugunsten Geflüchteter nicht unbedingt zur Willkommensstimmung beiträgt.

Pfeiffer sagte, dass zusätzliche Ausgaben für Flüchtlinge aus der Ukraine keine dramatische Größenordnung ausmachen dürften. Laut Verband sind für dieses Jahr 300.000 neue Versicherte und Ausgaben von 400 Millionen bis 500 Millionen Euro zu erwarten.

Fakt ist, dass eine Mehrbelastung der Bürger angesichts sinkender Reallöhne und steigender Preise in allen Lebensbereichen, den viel gepriesenen gesellschaftlichen Zusammenhalt kaum stärken wird, vor allem nicht, wenn gleichzeitig Geburtsstationen und Fachabteilungen geschlossen werden und das Personal selbst auf Kosten der eigenen Gesundheit arbeiten muss. Verbraucherschützer warnen seit einiger Zeit davor, den gesetzlichen Beitragszahlern weiter gesamtgesellschaftliche Aufgaben aufzubürden.

Die Einzahlungen in die gesetzlichen Kassen kommen bereits in vielen Bereichen auch jenen zu, die gar nicht einzahlen, wie Jutta Gurkmann von der Verbraucherzentrale Bundesverband Ende April erinnerte. Zu der Vielzahl von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben, die gesetzliche Beitragszahler schultern, gehören zum Beispiel die Familienversicherung und Leistungen für Arbeitslosengeld-II-Empfänger. Auch in diesem Bereich könnte die Willkommenskultur gebremst werden, da Menschen aus der Ukraine nicht per Asylbewerberleistungsgesetz, sondern zwecks "schneller Eingliederung in den Arbeitsmarkt" per Sozialgesetzbuch II und damit durch die Jobcenter Unterstützung erhalten.

Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, beklagte zu Beginn des Monats, dass die Kassen Beitragserhöhungen zulasten der Menschen vornehmen werden, "die gerade sowieso nicht wissen, wie sie am Ende des Monats noch ihre Lebensmitteleinkäufe oder die Stromrechnung bezahlen sollen".

Das von Gesundheitsminister Lauterbach angekündigte Finanzierungsgesetz sei "klammheimlich wieder in der Versenkung verschwunden". "Ich vermute mal, das hat mit ihrem kleinsten Koalitionspartner zu tun. Denn für eine auskömmliche Finanzierung der Krankenkassen bräuchte es entweder mehr Beitragszahlende, also etwa auch Beamte, Selbstständige und Gutverdienende oder mehr Steuerzuschüsse. Beides ist mit der FDP, dem Freundeskreis der Privatversicherungsunternehmen, offensichtlich nicht zu machen", so Vogler.

Wie andere Parteimitglieder auch betonte Vogler, dass die Partei dagegen sei, dass in den Bereichen Pflege und Gesundheit die Schuldenbremse ab dem Jahr 2023 wieder gelten solle, während "mit einem Federstrich 100 Milliarden Euro neue Schulden für Panzer und Kampfflugzeuge ins Grundgesetz geschrieben werden (können)".

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