Meinung

Jeff Bezos und Richard Branson zum Mond - aber per Einweg-Ticket

Raumfahrt an sich ist etwas Gutes. Doch in einer Welt, in der Millionen Menschen um Nahrung und Gesundheitsversorgung kämpfen, sollten Multi-Milliardäre nicht obszöne Geldsummen für Projekte ihrer Eitelkeit ausgeben.
Jeff Bezos und Richard Branson zum Mond - aber per Einweg-TicketQuelle: AP © Richard Drew

von Dr. Lisa McKenzie

Die Welt geht wegen COVID-19 an Krücken, Milliarden Menschen sowohl in reichen als auch in armen Ländern leben in Armut und der größte Teil der Weltbevölkerung hat keinen Zugang zu guter, sicherer und kostenloser Gesundheitsversorgung. Warum beteiligen sich dann zwei äußerst reiche Männer an einem Wettlauf ins Weltall?

Auf der einen Seite steht Jeff Bezos, der Gründer von Amazon, angeblich der reichste Mensch der Welt, verantwortlich für ein Unternehmen mit einer schlechten Umweltbilanz und bekannt dafür, verschwenderisch sowie ein schlechter Arbeitgeber zu sein. Auf der anderen Seite steht Sir Richard Branson, der Unternehmer, der hinter allem steht, was Virgin im Namen trägt. Das schließt Virgin Care ein, mit der er den staatlichen britischen Gesundheitsdienst (NHS) vor Gericht zerrte und in der Folge Millionen aus dem öffentlichen Gesundheitssystem Großbritanniens abgreifen konnte. Das ist jetzt besonders bemerkenswert, da Königin Elisabeth dem NHS das Georgskreuz verliehen hat, am 73. Jahrestag seines Bestehens und nach harten 16 Monaten an vorderster Front der Pandemie.

Jetzt hat Branson ein neues Spielzeug – Virgin Galactic. Vergangene Woche erhielt er die Lizenz für einen bemannten Testflug in den Weltraum, der vom Weltraumbahnhof des Unternehmens in New Mexico starten wird. Der Schwerpunkt des Fluges soll auf der "Bewertung des Sitzkomforts, der Schwerelosigkeit in der Raumkapsel" sowie der "Sicht auf die Erde" im Hinblick auf zukünftige "private Weltraum-Erlebnisse" liegen. Branson selbst wird mit an Bord sein.

Als jemand, der sich morgens in Viehtransporten ähnliche öffentliche Verkehrsmittel quetschen muss, um zur Arbeit zu gelangen, verdrehe ich bei der Vorstellung von Bransons Vorhaben  die Augen. Aber Bransons Abenteuer gießt sich in eine Flut von Aktivitäten im Bereich des Weltraumtourismus von Unternehmen, an deren Spitze Menschen stehen, die von der Presse großzügig als "exzentrische Milliardäre" bezeichnet werden. Zu ihnen gehören Richard Branson, Jeff Bezos und Elon Musk. Sie versuchen, die Reise in den Weltraum "unter die Leute" zu bringen. Oder zumindest "unter ihre Leute".

Branson hat mit sichtlicher Freude angekündigt, dass sein Weltraumabenteuer am 11. Juli beginnen soll und kommt somit seinem Rivalen Bezos neun Tage im suborbitalen Raum zuvor. Sein Unternehmen hat derzeit rund 600 Reservierungen für künftige Weltraumreisen zu einem Preis von 250.000 US-Dollar (212.000 EUR) pro Ticket. Als William Morris 1890 sein utopisches Buch "News From Nowhere" (Nachrichten aus dem Nichts) veröffentlichte, dessen Handlung in der Zukunft angesiedelt ist, präsentierte er ein Bild von Sozialismus, Respekt für die Handwerkskunst und einer Abkehr von umweltschädlichen Technologien.

Und doch sind wir hier im Jahr 2021 und unsere aktuelle "Science-Fiction" ist genau das Gegenteil. Milliardäre verdienen Geld damit, die Welt und die Umwelt zu schädigen. Sie sind Menschen, die gerne Star Wars spielen, einfach weil sie es können, ohne dass sie jemand dafür zur Rechenschaft zieht. Warum hinterfragt niemand, wann wie viel Privateigentum und Privatvermögen zu viel ist? Warum ist es in einer Welt, in der Reichtum so ungleich verteilt ist, falsch, diese Frage zu stellen?

Ich bin keine Spießerin. Ich verstehe, dass es legitime Gründe für Forscher gibt, zu wissen, was im Weltraum passiert. Ich glaube, es liegt in der menschlichen Natur, wissen zu wollen, was unbegreiflich erscheint, zu sehen, wovon einem gesagt wird, man könne es sich nur vorstellen. Als Arbeiterkind, das in einer Bergbaugemeinde in Nottinghamshire aufwuchs, konnte ich London nicht sehen und fuhr erst im Alter von 16 Jahren mit einem Zug dorthin, aber hatte schon lange davon geträumt, beides zu tun. Mir ist auch bewusst, dass die Raumfahrt uns hier auf der Erde helfen kann.

Wissenschaftler der Universität Nottingham und der Universität Exeter sind beispielsweise an einem Projekt beteiligt, bei dem vor Kurzem für ein Experiment Tausende winzige Würmer in den Weltraum geschossen wurden. Das soll uns helfen, mehr über Muskelverlust und seine Vorbeugung zu verstehen. Die extreme Umgebung des Weltraumes eignet sich hervorragend, um das Verständnis von Alterung, Inaktivität und bestimmte klinische Zustände in verschiedenen Körpersystemen zu verbessern. Die Untersuchung von Muskelveränderungen, die bei der Raumfahrt auftreten, könnte zu effektiveren Therapien und neuen Behandlungen für altersbedingten Muskelverlust sowie viele negative Veränderungen des Körpers führen. Astronauten verlieren nach sechs Monaten im Weltraum bis zu 40 Prozent ihrer Muskeln.

Und doch haben wir ein Stadium erreicht, in dem dieses kostspielige Privileg, eine so extreme Umgebung zu betreten, zu einer zutiefst extravaganten Zurschaustellung von Reichtum geworden ist. Dieser wird dafür genutzt, damit die reichsten Menschen der Welt eine kurze außerirdische Erfahrung machen können. Man soll sich nicht täuschen lassen: Dies ist erst der Anfang. Diese Unternehmer sind auf derselben Stufe wie die alten Kolonialisten, immer auf der Suche nach neuen Ländereien und neuen Märkten, in die sie expandieren können. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass dies nicht bloß ein Problem für einen bestimmten Teil der Welt ist – es ist ein globales Problem. Denn seien wir ehrlich – und die gesamte Menschheitsgeschichte zeugt davon –, wenn erfolgshungrige Unternehmer versuchen, neue Märkte zu erschließen, werden ihre Ziele selten durch Dinge wie Ethik behindert.

Und deshalb sollten Regierungen und Interessenverbände auf der ganzen Welt genau hinschauen, was vor sich geht, und sich fragen, in wessen Interesse dieses milliardenschwere Weltraumrennen wirklich ist. "Soll man etwas tun, nur weil man es kann?", ist die Frage, von der ich hoffe, dass sie auf den Fluren der Macht gestellt wird. Und selbst wenn unsere Regierungen und sogenannten Staatslenker die Augen verschließen, bedeutet dies nicht, dass der Rest von uns Normalsterblichen dies tun sollte. In unserer schrecklich verarmten, ungleichen Welt ist es ein skandalöser Umgang mit Geld, der am besten von Gil Scott Heron, dem Dichter, Musiker und Soziologen in seinem 1970er Song "Whitey On The Moon" (Ein Weißer auf dem Mond) zusammengefasst wurde. "Eine Ratte hat meine Schwester Nell gebissen und ein Weißer ist auf dem Mond. Ich kann meine Arztrechnungen nicht bezahlen, aber ein Weißer ist auf dem Mond." Mehr als 50 Jahre später scheint die Stimmung, die diesen Text inspirierte, so aktuell wie eh und je.

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Übersetzt aus dem Englischen. Dr. Lisa McKenzie ist eine Akademikerin aus der Arbeiterklasse. Sie wuchs in einer Bergbaustadt in Nottinghamshire auf und wurde durch den Bergarbeiterstreik 1984 politisch aktiv. Mit 31 ging sie an die Universität Nottingham und machte einen Bachelor in Soziologie. Dr. McKenzie lehrt Soziologie an der Universität Durham und ist eine politische Aktivistin, Autorin und Denkerin. Sie twittert unter @redrumlisa. 

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