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Die Zukunft ist virtuell: Wie das US-Militär mit seinem eigenen "Metaverse" verschmilzt

Das "Metaverse" ist zu einem der neuesten Schlagworte geworden, das sich im Verteidigungsbereich gleichzeitig als wichtiges Instrument zur Verbesserung der Effektivität auf dem Schlachtfeld und als Forum für die innermilitärische Kommunikation und den Austausch erweisen könnte. Doch wie weit ist die Technologie?
Die Zukunft ist virtuell: Wie das US-Militär mit seinem eigenen "Metaverse" verschmilztQuelle: Gettyimages.ru © photoman

von Desiree Lambert

Es ist ein kein Geheimnis, dass das Militär der erste Schöpfer nahezu jeder fortschrittlichen Technologie ist. Die meisten bahnbrechenden Innovationen - wie etwa das Internet - wurden in Verteidigungseinrichtungen entwickelt. Mit der Zeit finden einige dieser Technologien dann ihren Weg auch ins zivile Leben. Strahltriebwerke in der Luftfahrt, Raketentechnologie für die zivile Raumfahrt, GPS-Systeme zur Navigation, Mikrowellenherde, Computer sowie die darauf aufbauenden Technologien im Bereich der virtuellen Realität wie etwa VR-Brillen, sind nur einige Beispiele für Entwicklungen, die heute entgegen ihres ursprünglich kriegerischen Zwecks dem Wohle der Bevölkerung dienen und unser Leben einfacher machen.

Eine der neusten Technologien auf dieser Liste ist das sogenannte "Metaverse" des Social Media Giganten Facebook (heute META), das entgegen der geläufigen Meinung auf bereits jahrelang anhaltende Bestrebungen des US-Militärs zurückgeht. Doch trotz seiner zunehmenden Präsenz in den Medien stiftet der Begriff "Metaverse" verständlicherweise noch immer Verwirrung. Wenn man eine brauchbare Definition liefern sollte, wäre es die folgende: Ein "Metaversum" ist eine Reihe miteinander verbundener virtueller Welten, die ihren Nutzern ein Gefühl der Präsenz durch Handlungsfähigkeit und Einflussnahme vermitteln.

Der Begriff wurde vor über 30 Jahren von Neal Stephenson in seinem dystopischen Science-Fiction-Thriller "Snow Crash" geprägt. Stephensons "Metaverse" ist ein Virtual-Reality-Nachfolger des Internets, eine Welt der Flucht vor einer trostlosen und erbärmlichen Realität. Knapp zwei Jahrzehnte später erweckte Steven Spielberg in dem Film "Ready Player One" eine Zukunft zum Leben, in der Individuen mehrere virtuelle Welten in einem Universum namens "OASIS" durchqueren können, das viele Gemeinsamkeiten mit den heute populären Visionen für das "Metaverse" aufweist.

Die definitorische Unklarheit des Begriffs "Metaversum" oder "Metaverse" wird durch die populären Darstellungen in den Medien noch vergrößert, denn die Begriffe werden oft synonym mit Virtual Reality und Augmented Reality-Tools verwendet. Wenn man sich jedoch nur auf die Visualisierung oder die Schnittstellen wie etwa ein Headset oder VR-Brillen konzentriert, über die eine Person auf das "Metaversum" zugreifen kann, kommen die Technologien zu kurz, die das Engagement der Benutzer wahrscheinlich fördern werden. Unglaubliche Grafiken, ein Headset und haptische Handschuhe scheinen sexy zu sein, aber eine langweilige Besprechung, bei der der Benutzer nicht selbst bestimmen kann, wird auch mit diesen Tools lediglich ein Zeitfresser mit geringem Nutzen bleiben.

Um die Arten von immersiven Erfahrungen zu schaffen, die die Präsenz fördern können, wird das "Metaversum" insbesondere im militärischen Bereich durch eine Reihe von Technologien gestützt. Hardware wie Headsets, mobile Geräte und Sensoren, Netzwerktechnologien, Computer, virtuelle Plattformen wie 3D-Simulationen und Tools sollen die Verbindung zwischen Menschen und virtueller Welt erleichtern. So auch im Bereich der Flugsicherheit.

Virtuelle Realitäten bei Luftmanövern 

Seit den Anfängen der Luftfahrt verwenden Militärs auf der ganzen Welt (einschließlich Berufspiloten) sogenannte Flugsimulatoren, die Piloten mit Hilfe verschiedener simulierter Szenarien auf etwaige Probleme oder Gefahren in der Luftfahrt vorbereiten. Der allererste Flugsimulator war ein Gerät namens Link Trainer, das 1929 von Edwin Link entwickelt wurde. Während des Ersten und Zweiten Weltkriegs und insbesondere während des Kalten Krieges, hat sich die Flugsimulation allerdings enorm weiterentwickelt. Zu den modernen Flugsimulatoren gehört unter anderem der Vertical Motion Simulator (VMS), ein Simulator, der für das sogenannte "Desorientierungstraining" von Kampfpiloten und Astronauten verwendet wird.

Eine Technologie, die mit dem Aufkommen von "Metaverse" allerdings zunehmend überflüssig wird. Denn das "Metaverse" setzt neue Maßstäbe für die Verteidigung und hebt die Gefechtsfeldsimulation auch im Bereich der Luftfahrt in eine derart andere Dimension, dass herkömmliche Simulatoren nicht mehr mithalten können. Seit einigen Jahren ist die virtuelle Realität bereits ein fester Bestandteil der Piloten- und Seemannsausbildung des US-Militärs. Da jedes militärische Gerät Millionen von US-Dollar kostet, verlassen sich die Oberbefehlshaber des US-Verteidigungsministeriums bei der Schulung ihres Personals zunehmend auf simulierte Umgebungen des "Metaverse". Die Technologie ist für das Militär mitunter auch deshalb so interessant, da es den Benutzern erlaubt, neue Ausrüstung bis an ihre absoluten Grenzen zu testen und zudem nahezu endlos daran zu arbeiten, die menschlichen Fähigkeiten zu verbessern.

So führten am 10. Mai zwei Kampfpiloten ein Experiment in großer Höhe durch, das vom US-Militär als Proto-Metaverse bezeichnet wird. Bei dem Manöver, das einige tausend Meter über der kalifornischen Wüste stattfand, setzten sich die Berkut 540 Jet-Piloten eine Art VR-Brille, eine sogenannte AR-Kopfbedeckung auf, die ihnen die Verbindung mit einem System ermöglichte, das den beiden Piloten ein neben ihnen fliegendes Tankflugzeug simulierte. Wie das US-Tech-Magazin "Wire" berichtet, führten die Piloten dann ein Betankungsmanöver mit dem virtuell eingefügten Tankflugzeug durch - eine Meisterleistung, zumindest wenn man weiß, wie komplex ein solches Manöver ist.

Wie weit sollte eine Simulation gehen?

Während das Silicon Valley und seine Pendants auf der ganzen Welt nun eilig auf den "Metaverse"-Zug aufspringen, ist die Technologie beim Militär bereits sehr weit fortgeschritten. Willkommen im militärischen "Metaversum". Dabei ist das jüngste Beispiel nur eines von vielen, das den erfolgreichen Einsatz des "Metaverse" beim Militär verdeutlicht. Im "Metaversum" werden die USA künftig unweigerlich mit dem Rest der Welt konkurrieren, wobei der dabei entstehende Bereich schließlich zu einem Spiegelbild der realen Gesellschaft wird, indem die Grenzen zwischen Internet und Realität zunehmend verschwimmen.

Ein Fakt, der erhebliche ethische und moralische Fragen darüber aufwirft, wie ein solches "Metaverse" verwaltet werden sollte. Das Konzept des "Metaversums" lässt sich mit den Ideen der Simulacra, einem wirklichen oder vorgestellten Ding, das mit etwas oder jemand anderem verwandt ist oder ihm ähnlich ist, und der Hyperrealität verbinden, wie sie erstmals vom französischen Philosophen Jean Baudrillard dargelegt wurden. Für Baudrillard ist ein Simulacrum eine Nachahmung, die sich nicht auf das Original bezieht und im Laufe der Zeit durch die technologische Vermittlung von Erfahrung immer weniger mit dem Objekt übereinstimmt, das sie ursprünglich darstellen sollte. Eine Hyperrealität beginnt, wenn ein Simulacrum-Gebilde lediglich noch das überhöhte, idealisierte, den Vorstellungen eines Künstlers entsprechende Bild eines wirklich existierenden Objektes darstellt.

Aufbauend auf Baudrillards Überlegungen kann das "Metaversum" im Kontext von Verteidigung und Sicherheit die Komplexität menschlicher Erfahrungen, die in zeitgenössischen Militäroperationen erforderlich sind, genau modellieren. Das wirft allerdings die Frage auf, ob Normen bei der Entwicklung von "Metaversen" angewandt werden und ob diese auch menschliche Voreingenommenheiten in ihrer simulierten Realität widerspiegeln können. 

Kriegssimulationen verschmelzen mit der Realität 

Man könnte argumentieren, dass die Streitkräfte schon seit Jahren verschiedene "Metaversen" einsetzen, wenn auch klobige und isolierte. Das Militär hat bereits in den 1980er Jahren virtuelle Welten zu Trainingszwecken zusammengefügt, als es SIMNET (kurz für "Simulator Networking") schuf, das die erste Demonstration eines umfassenden Simulatoren-Netzwerks für kollektives Training und Missionsvorbereitungen war. In den letzten zwei Jahrzehnten haben neueste Standards die Integration unterschiedlicher Trainingssimulationen jedoch erleichtert und es den Soldaten ermöglicht, eine fast reale Version des Kampfes in einem synthetischen Raum zu erleben.

Eine Mischung aus erweiterter Realität und künstlicher Intelligenz ermöglicht es Kampfpiloten heute beispielsweise, in "Metaverse"-Systemen, wie etwa der "Multinational Aircrew Electronic Warfare Tactics Facility Polygone", eine vom US-Militär betriebene Simulationsanlage für den elektronischen Kampf in Deutschland, den Nahkampf gegen virtuelle Gegner, darunter russische Kampfflugzeuge und Luftabwehrsysteme, zu trainieren. 

Mitunter sind es solche Projekte im Bereich der virtuellen Realität, die zeigen, dass das US-Militär bereits lange vor Mark Zuckerberg an der Verschmelzung der Realität mit Künstlicher Intelligenz forschte. Soldaten werden bereits heute im Einsatz von "Assistenten" unterstützt, die auf  künstlicher Intelligenz basieren und den Einsatzkräften Ratschläge über Ton, Sprache und Grafiken basierend auf ihrem Standort und ihren Aktionen geben. Doch für diejenigen, die nach einer Zuckerberg-Vision des militärischen "Metaversums" suchen, führte die US-Luftwaffe im Dezember 2021 auch hier vor, dass die Technologie der virtuellen Realität bereits schon lange nicht mehr in den Kinderschuhen steckt. In einer virtuellen Umgebung hielt die US-Luftwaffe ein Treffen hochrangiger Vertreter ab, an dem über 250 Menschen von verschiedenen US-Außenposten der Welt teilnahmen.

Die Ausbreitung der "Metaversen" findet auf beiden Seiten des Zauns statt, der militärischen als auch der zivilen, und ist mit dem zunehmenden Fortschritt der Technik auch nicht mehr aufzuhalten. Und während Tech-Giganten wie Meta, Microsoft, SpaceX und Google gemeinsam mit der US-Raumfahrt- und Verteidigungsindustrie weiter an der Entwicklung fortschrittlicher Technologien arbeiten, können wir uns hingegen nur noch fragen, was als nächstes kommt, das uns letztlich in Erstaunen oder Erschrecken versetzen wird.

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