Meinung

Die US-Außenpolitik nach den US-Kongresswahlen

Das politische System in den USA befindet sich gleichsam im Dauerwahlkampf. Für die US-Wähler geht es um Abtreibung und Treibstoffpreise. Der Rest der Welt fragt sich, ob die US-Regierung der Demokraten nach einem möglichen Wahldebakel noch ihre Agenda umsetzen kann.
Die US-Außenpolitik nach den US-KongresswahlenQuelle: www.globallookpress.com © Dominick Sokotoff/Keystone Press Agency

Von Karin Kneissl

Die Gründerväter der USA schufen mit den Präsidentschafts- und Kongresswahlen im Zwei-Jahres-Rhythmus ein System der permanenten Gewaltenkontrolle. Die Exekutive, also das Weiße Haus, muss sich mit einer mächtigen Legislative, dem Kongress, befassen. Während der Präsident sich gerade einmal eingearbeitet hat, ist bereits wieder Wahlkampf angesagt. Deswegen tragen diese Wahlen, die den Kongress und Senat betreffen, auch den passenden englischen Namen "Midterms". Es ist also Halbzeit für den Präsidenten.

Oftmals verliert dann die Partei, die den Präsidenten stellt, an die Konkurrenz. Die Frage ist immer: in welchem Umfang? So wie sich die Dinge im Herbst 2022 darstellen, riskiert Joe Biden gar schwere Verluste, was ihn fortan zu einer "lame duck", also einer lahmen Ente in den verbleibenden zwei Jahren im Weißen Haus machen würde. Diese Aussicht dämpft die wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Aussichten für die US-Bevölkerung.

Die US-Midterms im turbulenten Jahr 2022

Die Inflation galoppiert jenseits der Zehn-Prozent-Grenze weiter, die Kaufkraft der Menschen sinkt und die "war fatigue", also die Kriegsmüdigkeit, wenn es um Milliardenpakete für die Ukraine geht, greift um sich. Das Thema der Treibstoffpreise bewegt wie immer die US-Amerikaner. Biden hatte bereits im Herbst 2021 die strategische Ölreserve (SPR) öffnen lassen, auch wenn es hierfür nicht die erforderliche Rechtsgrundlage, wie eine Notlage, gab. Biden ging es vor allem darum, die Inflation zu dämpfen.

Doch beides misslang, die Inflation stieg weiter an und der erforderliche Puffer, um mehr Angebot auf den Markt zu bringen, ist verflogen. Die Verknappung des globalen Angebots von Erdöl und Erdgas schafft auch dem wichtigen Exporteur, den USA, zunehmend Probleme. Doch diese Probleme sind hausgemacht. Anders als während der großen Erdölkrisen 1973 und 1979 verknappen nicht etwa die Produzenten die Förderung. Vielmehr boykottieren die Konsumenten russische Energieträger.

Für den Durchschnittsbürger schafft dies Probleme, die für seine Stimmabgabe Folgen haben. Ein Mantra der Republikaner hat durch die Jahrzehnte immer wieder gelautet "drill baby drill" – es ging hierbei um die nationale Erdölproduktion. Biden hingegen machte seit dem Amtsantritt klar, dass er diese Pläne stoppt.

Wenn voraussichtlich die Republikaner im Repräsentantenhaus und im Senat wieder mehrheitlich Platz nehmen, könnten wieder mehr US-Förderstätten auf den Weltmarkt kommen, was zu Entlastungen auf dem Preismarkt führen würde.

Warten auf das Ergebnis

Die Auszählung der Stimmzettel wird voraussichtlich noch einige Tage in Anspruch nehmen. Die meisten Beobachter rechnen aber mit einem Durchmarsch der Republikaner. Das Pendel geht wieder in deren Richtung, nachdem sie sich von den Debakeln rund um die Wahlniederlage von Donald Trump 2020 erholt haben. Und allen Unkenrufen zum Trotz ist auch dieser retour und könnte am 15. November seine offizielle Wiederkandidatur bekannt geben.

Die Folgen für die US-Außenpolitik halten sich meines Erachtens jedoch in Grenzen. Denn wie sich wenig unter Biden änderte, der den harten Kurs Trumps gegen China übernahm, so wird sich auch im Zuge dieser Wahlen nicht sehr viel ändern. Die Lobby zugunsten der Ukraine ist gerade unter republikanischen Politikern sehr ausgeprägt. Lange vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine hatten selbige konsequent für die NATO-Osterweiterung und gegen russische Energielieferungen nach Europa gekämpft.

Unipolar und Kalter Krieg

Was auch beiden politischen Lagern gemeinsam ist, das ist die Verkennung der neuen wirtschaftlichen und geopolitischen Realitäten. Dass sich nämlich ein Ende des transatlantischen Zeitalters und der damit einhergehenden Hegemonie des US-Dollar als Weltleitwährung abzeichnet.

Die besten Zeiten des Langzeit-Senators Biden liegen Jahrzehnte zurück. Er ist zweifellos aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart zu Hause. Und Trump verkörpert auch eine untergegangene US-Ära – die der goldenen 1980er, als der Immobilienhändler und 100-Prozent-New-Yorker bestimmte Teile der USA mitprägte.

Doch China mit einem Chip-Bann zu belegen, damit es in seiner Innovation gebremst wird, Indien die Leviten zu lesen, weil es russisches Erdöl im großen Stil importiert, und die Europäer in den Krieg mit der Ukraine zu drängen – all das wird sich unter den Republikanern ebenso fortsetzen, wie dies unter den Demokraten in den letzten 18 Monaten begann.

Eines ist hierbei stets im Auge zu behalten: Die Außenpolitik macht der Kongress "The Hill", nicht das Weiße Haus. Der US-Präsident muss sich bei jedem außenpolitischen Schritt mit den Abgeordneten und deren Lobbyisten befassen. Freie Hand hat ein US-Präsident bei internationalen Entscheidungen kaum. Mit Bezugnahme auf einen Romantitel kann man etwas sarkastisch resümieren: "Im Westen nichts Neues."

Die zerrissene Gesellschaft

Was sich aber vielleicht in den USA als Trend verstärken wird, ist die tiefe Zersplitterung, die sich durch alle Bevölkerungsgruppen zieht: Ob es um alte Spannungen, wie die Lage der Afroamerikaner und der Hispanics, geht oder um die Marginalisierung des Mittleren Westens, den gerade ein Trump zu mobilisieren versteht.

Der US-Politologe Samuel Huntington wurde vor 30 Jahren berühmt mit seinem Aufsatz zu einem bevorstehenden Kampf der Kulturen, dessen Thesen die vielen US-Interventionen im Nahen Osten mit befeuerten. Doch Huntington machte sich kurz vor seinem Tode noch viel mehr Sorgen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den USA. In Publikationen lange nach seinen Aussagen über einen unversöhnlichen Kampf der Zivilisationen beschäftigte er sich mit einer möglichen Balkanisierung, also einer Zersplitterung, der USA. Die Bruchlinien sind vielfältig. Für die einen geht es um Ethnien und deren Unzufriedenheit. Für die anderen stehen die vielen Verlierer des einstigen amerikanischen Traums auf dem Spiel.

Sollte es beim Auszählen der Stimmzettel zu sehr knappen Ergebnissen kommen, dann ist eine hitzige nationale Debatte wie schon bei den Präsidentschaftswahlen 1999/2000 und dem letzten Wahlkampf vorherzusehen.

Die Midterms sind zwar nur Zwischenwahlen in den USA. Aber in so turbulenten Zeiten wie gegenwärtig ist nicht auszuschließen, dass es auch außenpolitisch noch rundgehen könnte. Denn der neue Betreiber der Plattform Twitter, Elon Musk, mischt auch zunehmend persönlich in politischen Debatten mit.

Die USA und die US-Bürger müssen für sich noch die ungefähre Marschroute in Angriff nehmen. Vielen ist schon klar, dass das US-amerikanische Zeitalter an seine Grenzen stößt. Aber was bedeutet dies für die anstehenden US-Gesetzesvorhaben?

Die USA werden sich in der Weltpolitik mit mehreren Gegenübern befassen müssen. Und um die Kriegsmüdigkeit ihrer Bevölkerung richtig zu erfassen, geht es um Kaufkraft, den inneren Kompass und die richtige Einordnung dieses Krieges in der Ukraine, der seit bald zehn Jahren seine Rolle spielt. Das US-amerikanische Zeitalter muss sich neue Wege erschließen.

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