Meinung

Russland hat alle polnischen Politiker gekauft – sagen polnische Politiker

Glaubt man polnischen Politikern, so besteht die polnische Politik nur aus Einflussagenten Russlands. Die Opposition bezichtigt dessen die Regierungspartei, die Regierungspartei die Opposition. Doch warum läuft es dann nicht im Sinne Moskaus in Polen? Oder doch?
Russland hat alle polnischen Politiker gekauft – sagen polnische PolitikerQuelle: AFP © Wojtek Radwanski / AFP

Von Wladimir Kornilow, RIA Nowosti

Am Sonntag kam es in Polen zu Massenprotesten. Wenn wir die Aussagen von Politikern und der Presse aus verschiedenen Lagern zusammenfassen, ergibt sich ein überraschendes Bild: Agenten des Kreml in der Opposition gingen auf die Straße, um Agenten des Kreml in der Regierung zu stürzen!

Und das habe ich mir nicht ausgedacht. Anlass für die Kundgebung war die Entscheidung des Sejm und des Präsidenten des Landes, eine Sonderkommission zur Untersuchung des "russischen Einflusses auf die polnische Politik" für den Zeitraum 2007 bis 2022 einzusetzen. Niemand hat den geringsten Zweifel daran, dass sich der Gesetzentwurf gegen den ehemaligen polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk richtet, der 2007 das Amt übernommen hatte. Daher wurde die Entscheidung zur Einsetzung der Kommission sofort als "Tusk-Gesetz" (Lex Tusk) bezeichnet.

Und da Tusk nun der Führer der wichtigsten Oppositionskraft (Bürgerplattform) ist, besteht nicht der geringste Zweifel daran, dass die Regierung auf diese Weise versucht, ihren Hauptgegner am Vorabend der für sie schwierigen Parlamentswahlen, die von Mitte Oktober bis Anfang November stattfinden sollen, zu diskreditieren. Es ist kein Zufall, dass die Schlussfolgerungen über Tusks "russische Verbindungen" während seiner Amtszeit bis Mitte September vorgelegt werden sollen – damit im richtigen Moment der "Agent Moskaus" denunziert und Tusk von der Wahl ausgeschlossen werden kann. Ein Russia-Gate auf die polnische Art.

Es ist schwer vorstellbar, dass ausgerechnet Tusk, der nach seiner Amtszeit als polnischer Regierungschef fünf Jahre lang den Europäischen Rat geleitet hat und durch eine lange Reihe antirussischer Aktionen und Erklärungen auffiel, ein russischer Agent ist. Aber die Russophobie hat in Polen ein solches Ausmaß erreicht, dass sie zu einem unbestreitbaren Faktor bei den bevorstehenden Wahlen geworden ist. Und sie wird nicht nur gegen die Opposition, sondern auch gegen die Regierung eingesetzt.

Fast am selben Tag, an dem der Sejm das "Tusk-Gesetz" verabschiedete, veröffentlichte das gedruckte Sprachrohr der Opposition, die Gazeta Wyborcza, ein großes Interview mit Janusz Nosek, dem ehemaligen Leiter der polnischen militärischen Spionageabwehr. Der Inhalt ist in der Überschrift zusammengefasst: "Die PiS ist von russischen Agenten unterwandert". Es geht um die Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit". Der ehemalige Leiter des Sonderdienstes beschuldigt die derzeitigen Führer des Landes ohne Umschweife, vor langer Zeit von Moskau rekrutiert worden zu sein. Soll heißen, Duda, Morawiecki und Kaczynski sind ebenfalls "Agenten des Kreml".

Die regierungsnahen Medien suchten nicht nach Gegenargumenten, sondern erklärten ihrerseits Nosek selbst zum "Kreml-Agenten". "Der "Beweis" war sein altes Foto in einem Visier des Kreuzers Aurora: Er hatte sich einmal während einer Reise nach Sankt Petersburg so fotografieren lassen. Und seit diesem Moment ist er sicherlich ein "Agent Moskaus". Nur russische Agenten machen solche Fotos, nicht wahr? Zumindest, wenn sie nicht gerade einen Fallschirm und eine Pelzmütze mit rotem Stern zur Hand haben.

Es stellt sich heraus, dass es in der polnischen Politik einfach keine einzige Person gibt, die nicht ein "Einflussagent" oder ein "Spion" Russlands ist. Die Russophobie hat die polnische Beau Monde so sehr geeint, dass sie inzwischen zu einem wichtigen Spaltfaktor im Land geworden ist.

So hat Tusk, ein "Agent des russischen Einflusses", innerhalb von fünf Minuten Hunderttausende Demonstranten auf die Plätze der polnischen Städte gebracht. In Warschau gab die Opposition bekannt, dass eine halbe Million Menschen an den Protesten teilgenommen haben. Die Behörden unterschätzten diese Zahl um das Fünffache und sprachen von "etwa Einhunderttausend prorussischen Oppositionellen", die in der Hauptstadt auf die Straße gingen. "Prorussisch", wie sollte es auch anders sein!

Die regierungsfreundlichen Medien titulierten die Veranstaltung als "Marsch des Hasses und der Verachtung" und beschuldigten die Demonstranten (die ihre Sprache in Bezug auf die Regierung wirklich nicht mäßigen wollten), zum Sturz der Regierung aufzurufen. Das polnische Staatsfernsehen kommentierte die unflätigen Ausdrücke einiger Regierungskritiker und kam zu dem Schluss, dass "Tusk keine Kontrolle über seine Anhänger hat".

Zusammenfassend kann man einerseits mit Bedauern feststellen, dass der Hass auf Russland und die Russen in Polens Eliten alle Grenzen überschritten hat. Andererseits kann und sollte man sich diese Irritation zunutze machen. Da Warschau an der Spitze der antirussischen Provokationen steht und das Kiewer Regime aktiv mit Waffen und Kämpfern beliefert, kann uns die Spaltung der polnischen Gesellschaft und die Destabilisierung, wenn auch aus antirussischen Gründen, nur in die Hände spielen.

Übersetzung aus dem Russischen. Der Artikel ist am 05.06.2023 auf ria.ru erschienen. 

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