Meinung

Probleme in Frankreich: Rassismus bei der Polizei, ebenso aber auch kriminelle Banden

Durchschnittsbürger aller ethnischen Abstammungen, politischen Gesinnungen und sozialen Schichten sind inmitten dieser Krise in Frankreich gefangen. Gewalt wird nicht beitragen können, Lebenshaltungskosten zu senken, soziale Probleme in städtischen Gebieten zu lösen oder Debatten über die französische Identität beizulegen. Im Gegenteil, Gewalt macht all diese Probleme nur noch schlimmer.
Probleme in Frankreich: Rassismus bei der Polizei, ebenso aber auch kriminelle BandenQuelle: AFP © Clement Mahoudeau

Von Andrew Korybko

Die jüngsten Unruhen in Frankreich haben die meisten Menschen in völlig gegensätzliche Lager gespalten. Der eine unterstützt die Unruhen als Protest gegen Polizeirassismus, der andere lehnt sie aufgrund der Beteiligung krimineller Banden ab. Die einen glauben, dass den Randalierer keine andere Wahl blieb, nachdem sie im Laufe der vergangenen Jahre angeblich alle friedlichen Möglichkeiten ausgeschöpft haben, um Reformen durchzusetzen, während die anderen glauben, dass Gewalt unabhängig von der Situation immer inakzeptabel sei.

Es gibt auch andere Faktoren, die den Lauf der Dinge beeinflussen, wie etwa steigende Lebenshaltungskosten, sich verschlimmernde soziale Probleme in städtischen Gebieten und Debatten darüber, was es bedeutet, Franzose in diesem ethnisch kosmopolitischen Land zu sein, in dem ein beträchtlicher Teil der Bürger von Einwanderern abstammt. Darüber hinaus gibt es diejenigen, die den Präsidenten Emmanuel Macron einfach nicht mögen, insbesondere einige Beobachter im Ausland, die angesichts dieser politischen Krise in Schadenfreude schwelgen.

Jeder sollte sich daran erinnern, dass Polizeirassismus in Frankreich ein Problem ist, aber auch kriminelle Banden sind ein Problem, und diese beiden Probleme bilden den Kern der jüngsten Unruhen. Die Polizei tötete einen 17-jährigen Verdächtigen algerischer Abstammung unter verdächtigen Umständen, die auf Tonband festgehalten wurden und sofort in den sozialen Medien viral gingen. Die Mutter des Verstorbenen gibt nur dem beteiligten Beamten die Schuld, doch das verhinderte nicht, dass es mehrere Nächte lang zu Ausschreitungen krimineller Banden kam, von denen einige militärische Waffen trugen.

Durchschnittsbürger aller ethnischen Hintergründe, politischen Dispositionen und sozialen Schichten sind wie gefangen inmitten dieser Krise, die im Nachhinein betrachtet, trotz der bereits oben angesprochenen Faktoren, vermeidbar gewesen wäre. Gewalt wird nicht dazu beitragen, die Lebenshaltungskosten zu senken, soziale Probleme in städtischen Gebieten zu lösen oder Debatten über die französische Identität beizulegen. Im Gegenteil, Gewalt macht all diese Probleme nur noch schlimmer.

Bezüglich der beiden Auslöser dieser Krise wurde bereits eine Untersuchung eingeleitet, um genau zu ermitteln, was unter diesen dubiosen Umständen genau vorgefallen war, die dazu führten, dass die Polizei den 17-jährigen Verdächtigen algerischer Abstammung getötet hat. Der Beamte, der geschossen hat, wird natürlich bestraft werden, wenn er von einem Gericht eines Verbrechens für schuldig befunden wird. In diesem Fall werden hoffentlich anschließend weitere Reformen angegangen und umgesetzt werden, um künftig Vorfälle dieser Art und die fast immer darauf folgenden Unruhen zu verhindern.

Was den zweiten Auslöser, die kriminellen Banden betrifft, so sind die Sicherheitsdienste ihrer Pflicht gegenüber dem französischen Volk nicht vollständig nachgekommen, nachdem sich gezeigt hat, dass diese Banden in den größten Städten des Landes nach wie vor eine große Bedrohung darstellen. Die Herausforderung besteht darin, dass die meisten ihrer Mitglieder Abkömmlinge von Einwanderern sind, weshalb die Staatsmacht bei ihren Ermittlungen und Einsätzen sehr vorsichtig vorgehen muss, um Vorwürfe wegen Rassismus zu vermeiden. Eine falsche Anschuldigung oder eine verpatzte Razzia genügen – und es könnten jederzeit weitere Unruhen aufflammen.

Wenn es in der Gesellschaft ein höheres Maß an Vertrauen gäbe, dass Rassismus in der Polizei angemessen bekämpft wird, dann hätte die Staatsmacht vergleichsweise mehr Handlungsspielraum, um kriminelle Banden im ganzen Land zu zerschlagen. Aber genau an diesem Vertrauen mangelt es aus vielerlei Gründen. Der unter französischen Polizeibeamten grassierende Rassismus lässt sich nicht leugnen. Aber ebenso ist unbestreitbar, dass es politische Kräfte gibt, die ein Interesse daran haben, alles unter dem ethnischen Blickwinkel darzustellen, selbst wenn das irrelevant ist.

Diese Akteure erschweren die Arbeit der Sicherheitsdienste und gefährden so ihre Mitbürger, auch wenn Letzteres nicht ihre Absicht sein mag. Wenn alles als rassistisch motiviert angeprangert wird, dann zögert die Polizei, entschiedene Maßnahmen zu ergreifen, aus Angst, dass dies eine weitere Runde landesweiter Unruhen auslösen könnte, die von den eben genannten politischen Kräften organisiert werden. Frankreichs Dilemma ist im Wesentlichen dasselbe wie das der USA, das im gesamten Westen zunehmend zur Norm wird.

Es gibt kein Allheilmittel, weil das Problem größtenteils ein Nullsummenspiel ist: Entweder gelingt es den besagten politischen Kräften mit dem Rassismusvorwurf, die Polizei davon abzuhalten, entschlossen gegen Mitglieder krimineller Banden vorzugehen, oder die Polizei handelt, ohne sich um die mögliche Reaktion dieser Gruppen zu kümmern. Die Kalkulationen der Strafverfolgungsbehörden werden ständig neu überdacht, da der Einfluss dieser politischen Gruppen auf die öffentliche Meinung abebben oder zunehmen kann. Beides beeinflusst, wie sie jeweils auf Bedrohungen reagieren sollen, es sei denn, man sieht sich dort gezwungen, spontan zu reagieren.

Es ist daher kein Wunder, dass Polizeikräfte im gesamten Westen zunehmend demoralisiert werden und die Ehrlichen unter ihnen befürchten müssen, dass ihre Pflichterfüllung auch ihr Leben ruinieren könnte, wenn entsprechende polizeiliche Handlungen von diesen auf angeblichen Rassismus beharrenden Gruppen zu einem nationalen Skandal aufgebauscht werden. Um es ganz klar zu sagen: Es gibt immer dann einen Grund für eine Untersuchung, wenn eine Schusswaffe der Polizei abgefeuert wurde – insbesondere dann, wenn das Opfer einer Minderheit angehört. Aber nicht jeder Schusswaffengebrauch durch die Polizei ist auf Rassismus zurückzuführen, selbst wenn der jüngste Vorfall in Frankreich in dieser Hinsicht definitiv verdächtig ist.

Durchschnittsbürger aller ethnischen Hintergründe, politischen Gesinnungen und sozialen Schichten leiden umso länger, je länger dieses Dilemma ungelöst bleibt. Sie bleiben immer dem Risiko ausgesetzt, Opfer von Unruhen zu werden, die nach jedem Vorwurf von Rassismus gegen die Polizei ausbrechen, wenn ein Angehöriger einer Minderheit getötet wurde. Eine angemessene Schulung der Strafverfolgungsbehörden könnte die Zahl solcher Vorfälle berechtigten Rassismusverdachts reduzieren, aber es wird einige Zeit dauern, bis sich Ergebnisse zeigen. Und auch dann wird nicht jeder Polizeibeamte das Gelernte immer perfekt umsetzen.

Darüber hinaus kann die Einleitung öffentlicher Aufklärungskampagnen durch eine vielfältige Gruppe besorgter Bürger dazu beitragen, die Bevölkerung über legitime Gründe zu informieren, warum manchmal Gewalt gegen Verdächtige angewendet werden muss, insbesondere gegen solche, die nachweislich zu kriminellen Banden zählen. Gleichzeitig könnte man auch die Mitglieder und die Machenschaften jener auf angeblichen Rassismus fokussierten Gruppen aufdecken, die aus eigennützigen politischen Gründen die öffentliche Wahrnehmung von Rassismus und Polizeigewalt manipulieren.

Es muss ein neuer Gesellschaftsvertrag zwischen den Bürgern und der Polizei geschlossen werden, um das gegenseitige Vertrauen wiederherzustellen, das derzeit fehlt, was zweifellos von den oben genannten politischen Kräfte ausgenutzt wird. Ebenso muss die Bürgerschaft selbst zu der Einsicht gelangen, dass es inakzeptabel ist, spalterische Ereignisse von denselben Gruppierungen in der öffentlichen Wahrnehmung derartig manipulieren zu lassen, um damit Unruhen zu provozieren. 

Aber solche komplementären Gesellschaftsverträge wurden bisher nirgendwo im Westen geschlossen, sodass keine substanzielle Lösung des Problems in Sicht ist.

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Übersetzt aus dem Englischen

Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung spezialisiert hat.

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