Meinung

Selenskij braucht die Fortsetzung des Krieges für sein politisches Überleben

Vor dem Beginn der ukrainischen Offensive sprachen Kiews Vertreter von einem Mangel an Militärgerät. Nun behaupten sie, die Offensive hätte keine Geländegewinne zum Ziel. Die Fortsetzung der Kampfhandlungen dient inzwischen nur noch dem Zweck, Selenskijs politisches Überleben zu sichern.
Selenskij braucht die Fortsetzung des Krieges für sein politisches ÜberlebenQuelle: AFP © Sergei SUPINSKY

Von Oleg Zarjow

Weißrusslands Präsident Alexandr Lukaschenko hat am Donnerstag erklärt, dass der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im Bewusstsein des Scheiterns der Gegenoffensive und der Tatsache, dass die Ukraine den Krieg nicht gewinnen könne, nach Auswegen aus der entstandenen Lage suche.

Tatsächlich kann die Ukraine offensichtlich keinen Sieg erringen. Doch der Ausweg aus dieser Lage ist nicht der Weg zur Beendigung des Konflikts. Werfen wir einen genaueren Blick auf die Ereignisse.

Im Stadium der Vorbereitung der Gegenoffensive klagten Kiews Sprecher zunächst über den Mangel an Militärgerät. Diese Klagen hatten bereits Monate vor der Intensivierung der Kampfhandlungen begonnen. Die Rede war jedoch nicht nur von Waffen, sondern auch von Flugzeugen.

Zu diesem Zeitpunkt, im Mai, kündigte Großbritannien die Schaffung einer Koalition von Ländern an, die bereit wären, Kiew beim Einsatz von F-16 zu unterstützen, und versprach, die Ausbildung ukrainischer Piloten zu übernehmen. Das Interessante daran ist, dass Großbritannien selbst gar keine F-16 im Dienst hat. Lizenzen für den Export und Reexport dieser Flugzeuge vergeben die USA, die bisher niemandem ihre Zustimmung gaben.

Im nächsten Schritt begannen alle ukrainischen Funktionäre wie auf Kommando zu sagen, dass man von der ukrainischen Gegenoffensive keine schnellen Ergebnisse erwarten sollte. Diese sei eine ernsthafte Operation, ein über längere Zeit ablaufender Prozess, der dann beginnen werde, wenn es am wenigsten erwartet würde.

Schließlich kam der Prozess der Offensive in Gang, und er überraschte die russische Armee keineswegs. Die Thesen, dass man von der Ukraine keine blitzartigen Erfolge erwarten sollte, erklangen aufs Neue.

Später kamen Aussagen des Leiters des ukrainischen Sicherheitsrats, Alexei Danilow, hinzu, wonach Kiew seine Taktik geändert habe und sich nun darauf konzentriere, das russische Militär aufzureiben anstatt die Kontrolle über Territorien zurückzugewinnen. In Wirklichkeit geschah genau das Gegenteil: Die russische Armee reibt die ukrainische auf.

Warum begann die Offensive also überhaupt, wenn es dafür nicht ausreichend Kräfte gab?

Weil sie für Selenskij ein Mittel ist, sich mit Londons Unterstützung über Wasser zu halten. London sabotierte die Abkommen von Istanbul und ausgerechnet Großbritannien steht hinter der allmählichen Verschärfung der Rhetorik. Großbritannien lieferte Geschosse mit angereichertem Uran, Langstreckenraketen vom Typ "Storm Shadow" und es schuf die "Flugzeugkoalition".

Diese Rhetorik weicht von der Linie der USA im Ukraine-Konflikt ab. Die Unterstützung der USA ist wohldosiert – fünf Verträge im Wert von insgesamt etwa 20 Milliarden US-Dollar sind gar nicht so viel. Das Lend-Lease-Programm wurde gebilligt, aber nicht gestartet, die USA verbieten Angriffe auf russisches Territorium und ließen die Aktionen des ukrainischen Militärs während des bewaffneten Aufstands von Wagner-Söldnern nicht intensivieren. Sie tun gerade das Nötigste, um den Anschein der Unterstützung zu wahren, doch nicht genug, um einen Sieg der Ukraine zu ermöglichen.

Denn ein Sieg der Ukraine setzt eine Zerschlagung und eine politische Niederlage Russlands voraus, und dieses Ziel verfolgen die Vereinigten Staaten nicht. Ihr strategischer Gegner ist China, und eine Zerschlagung Russlands käme ihnen nicht gelegen.

Das britische Szenario sieht indessen eine Aufteilung Russlands in drei Teile vor, von denen einer unter den Einfluss Europas (Londons) gerät, der zweite zu einer Enklave von unabhängigen, möglicherweise muslimischen Staaten wird, und der dritte, der flächenmäßig größte, mit kolossalen Vorräten an Bodenschätzen, an China geht.

Die USA lieferten einige Waffen und zwangen die Ukraine, in die Gegenoffensive zu gehen. Wozu? Um der Ukraine einen Misserfolg zu bescheren. Wofür brauchen sie diesen? Weil anders die den Krieg befürwortende Stimmung innerhalb der Ukraine nicht zu ändern ist. Heute haben etwa drei Viertel der Ukrainer Verwandte, die durch den Krieg zu Schaden kamen, und die Gesellschaft befürwortet den Krieg; damit sich diese Stimmung ändert, ist ein empfindlicher militärischer Rückschlag nötig.

Was sich derzeit abzeichnet, ist das Heraufziehen einer Niederlage an der Front, und eine solche wäre für Selenskij katastrophal. Er unternahm alles, um die Einleitung der militärischen Spezialoperation zu provozieren, nachdem er auf Druck Großbritanniens die Minsker Abkommen aufgekündigt hatte. Später kündigte er, ebenfalls unter westlichem Druck, die Abkommen von Istanbul auf, die ein Ende des Krieges bedeutet hätten und Selenskij eine großartige Prämie zusicherten. Was erhielt Selenskij aber stattdessen? Den Krieg, eine ruinierte Wirtschaft und Unmengen an gefallenen Ukrainern.

Und seine politischen Konkurrenten – Poroschenko, Timoschenko, proamerikanische Präsidentschaftskandidaten – halten inne in der Erwartung des passenden Moments, in dem sie sich auf ihn stürzen können. Nur ein Fortgang der Kriegshandlungen kann Selenskijs politischen – und möglicherweise nicht nur politischen – Tod noch aufschieben.

Übersetzt aus dem Russischen.

Oleg Zarjow war ein langjähriger Abgeordneter der ukrainischen Werchowna Rada. Er trat entschieden gegen den Maidan und für die Interessen der russischsprachigen Bevölkerung der Ukraine auf. Im Jahr 2014 kandidierte er für das Amt des Präsidenten der Ukraine und war später einer der Gründungsväter von Noworossija. Man kann ihm auf seinem Telegramkanal folgen.

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