Meinung

Sowjetisches Munitionsdepot in Transnistrien: Kiew und Chișinău treiben ein gefährliches Spiel

Befürchtungen, das ukrainische Militär hege Pläne einer Übernahme der riesigen Munitionsdepots in Transnistrien, sind nicht grundlos. Auch die moldauische Regierung unter Maia Sandu scheint dies zu fördern. Die Perspektiven einer solchen Aktion sind indes mehr als fraglich.
Sowjetisches Munitionsdepot in Transnistrien: Kiew und Chișinău treiben ein gefährliches Spiel

Von Yaakov Kedmi

In letzter Zeit häufen sich Berichte über Kiews Versuche, nachrichtendienstliche Daten über die noch sowjetischen Waffendepots in Kolbasna in der Transnistrischen Moldauischen Republik zu sammeln. Es wird auch nicht davor zurückgeschreckt, hierfür Bewohner Transnistriens anzuwerben. Und die meisten Berichte hierzu verweisen auf ukrainische Geheimdienste. Wahrscheinlich sind auch moldauische Geheimdienste im Rahmen ihrer Aktivitäten in Transnistrien mit demselben Vorhaben beschäftigt.

Beobachter schlussfolgern, dass die ukrainische Armee beabsichtigt, in Transnistrien einzumarschieren und sich diese Lagerhäuser – allen voran die Munitionsdepots – unter den Nagel zu reißen. Sie schließen nicht aus, dass eine Operation zur Übernahme der Waffenlager in Kolbasna mit Unterstützung der Regierung in Chișinău durchgeführt werden wird – wenn nicht sogar auf deren Ersuchen hin.

Die Ukrainer gehen davon aus, dass die Lager nur von einer kleinen Einheit von etwa 50 Soldaten bewacht werden und es folglich nicht schwierig wäre, sich ihrer zu bemächtigen. Die transnistrischen Streitkräfte sind klein und schwach, dazu noch über vergleichsweise große Gebiete in Transnistrien verteilt und werden somit nicht in der Lage sein, einer solchen Aktion bei Kolbasna ausreichenden Widerstand entgegenzusetzen. Und die Entfernung zu den russischen Einheiten an der vordersten Front werde es der russischen Armee nicht ermöglichen, rechtzeitig einzugreifen, um eine Übernahme der Lager – wovor russische Behörden deutlich warnen – zu verhindern. Und solange die russischen Truppen Transnistrien noch nicht erreicht haben, erscheint diese Operation aus militärischer Sicht recht einfach und durchaus im Rahmen des Möglichen.

Der Hauptzweck einer solchen Operation ist ein Erbeuten von Munitionsbeständen, an denen es der ukrainischen Armee derzeit kritisch mangelt – vor allem angesichts der Berichte der NATO und anderer westlicher Verbündeter, dass sie nicht genug Munition für die ukrainische Armee haben und auch im kommenden Jahr nicht genug haben werden. Außerdem gründet das Vorhaben einer solchen Operation auch auf der Annahme riesiger Munitionsbestände in den Depots der ehemaligen 14. Armee.

Dazu ein paar Bemerkungen. Die Menge der in den Depots gelagerten Munition ist heute niemandem genau bekannt – außer der russischen Führung natürlich. Während der Konfrontation in Transnistrien und vor allem, nachdem General Alexander Lebed Mitte 1995 auf eigenes Ersuchen von seinem Posten als Befehlshaber der 14. Armee befreit wurde, ist aus Kolbasna ständig Munition abgezogen worden – und es ist nicht klar, wie viel und welche Munition überhaupt noch dort vorhanden ist. Mehr noch: Was die verbliebene Munition betrifft, so ist nicht bekannt, um welche Art von Munition es sich handelt und vor allem nicht, in welchem Zustand sie sich befindet. Es ist unwahrscheinlich, dass über den Zeitraum von 30 Jahren ausreichend auf ihren Zustand geachtet wurde. Realistischer ist davon auszugehen, dass alle Munition von irgendwelchem Wert längst abtransportiert wurde – und dass sich der größte Teil der verbliebenden Munition in einem gefährlich überfälligen Zustand befindet und ohne sorgfältige, akribische und kostspielige Wartungsarbeiten unbrauchbar und nur unter Gefahren zu verwenden ist.

Die Vermutungen von Analysten und Beobachtern aller Art über die Absichten der Ukraine, sich dieser Munition zu bemächtigen, sind der russischen Führung seit Langem bekannt. Russlands Militär, das für das ehemalige Bürgerkriegsgebiet Transnistrien Friedenstruppen stellt, hatte genügend Zeit, um den größten Teil der Munition unbrauchbar zu machen. Außerdem hatte es genügend Muße, alle Munitionsdepots zu verminen, und hat somit wohl eine Option, wenn ukrainische Truppen versuchen würden, diese Depots zu erobern, diese nicht zu behindern – und dafür etwa das Leben der kleinen Garnison umsonst zu opfern –, sondern zum passenden Zeitpunkt alle Depots zusammen mit ihren neuen ukrainischen Besitzern in die Luft zu jagen. Und selbst von einer solchen Verminung abgesehen, besteht nicht bloß eine Wahrscheinlichkeit, sondern auch die Gewissheit, dass alle Depots im Falle ihrer Einnahme durch die ukrainische Armee schlicht von russischen Lenkwaffen zerstört werden können. Daher sind alle Pläne und Versuche der Ukraine und ihrer Strippenzieher, die Lagerhäuser in Kolbasna zu übernehmen, absolut sinnlos und gefährlich, vor allem für die ukrainische Armee.

Falls aber solch eine Operation tatsächlich mit Hilfe und auf Wunsch der Behörden in Chișinău durchgeführt werden würde, kann dies zum Sturz und Machtverlust von Maia Sandu in Moldawien führen – nämlich durch Operationen der russischen Armee, der sich die militärischen Einheiten Transnistriens dann anschließen werden. Denn dies wäre ein klarer Versuch seitens Chișinău, militärisch gegen die russische Armee in der Ukraine vorzugehen, und auch ein Verstoß gegen alle Vereinbarungen über Transnistrien, was nicht ungestraft bleiben dürfte.

Allein, die Ukrainer und ihre westlichen Herren begehen ständig irrationale Handlungen, durch die sie ihre angestrebten Ziele nicht erreichen, sondern die Lage jeweils nur verschlimmern und weiter verschärfen. Somit muss Russland auch auf eine solche Entwicklung der Ereignisse nach wie vor vorbereitet sein.

Übersetzt aus dem Russischen.

Yaakov Kedmi (geboren in Moskau am 5. März 1947) ist ein israelischer Politiker und Diplomat. In den Jahren 1992 bis 1999 war er der Leiter des israelischen Geheimdienstes Nativ, der auf die Repatriierung osteuropäischer Juden nach Israel hinarbeitete und heute als eine israelische Regierungsbehörde erklärtermaßen Kontaktpflege und Kulturarbeit betreibt. Kedmi selbst ist heute ein hoch angesehener und gefragter Geopolitik-Dozent und wird häufig als Experte vor allem von russischen Medien zitiert, die auch seine Kommentarartikel veröffentlichen.

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