Meinung

Die Deutschen – bereit für den Krieg? In Reih und Glied marschieren sie nach wie vor zu gern

Der Zweite Weltkrieg wurde Deutschland durch drei Dinge ermöglicht: durch Ingenieure und die Industrie, durch die Bereitschaft, in eine vorgegebene Richtung zu marschieren, sowie durch die Entschlossenheit, die dem demütigenden Versailler Vertrag entsprang. Heute fehlt es nur an der Entschlossenheit, doch die ließe sich schnell herstellen.
Die Deutschen – bereit für den Krieg? In Reih und Glied marschieren sie nach wie vor zu gernQuelle: www.globallookpress.com © imago/Christian Spicker

Von Timur Schehrsad

Die Deutschen – sind sie schon heute bereit für den Krieg? Und wie lange würde es dauern, sie darauf vorzubereiten?

Noch scheint das heutige Deutschland nicht bestrebt, den Namen seiner als "nicht aggressiv" titulierten Bundeswehr zu verändern. Doch die ersten Umrisse dessen, was die Deutschen in Zukunft erwarten könnte, treten bereits in einigen Meldungen der Medien hervor. So berichtet der Spiegel von Absichten des Bundesverteidigungsministers Pistorius, bis zum Jahr 2025 die allgemeine Wehrpflicht wiedereinzuführen. Das geschah in der Geschichte bereits – zum Beispiel vor dem Zweiten Weltkrieg.

Deutschland blieb nach seiner Niederlage im Ersten Weltkrieg mit Abstrichen als einheitlicher Staat erhalten, musste jedoch hohe Wiedergutmachungen leisten – wirtschaftlich in Form von Reparationen und politisch in Form eines Verbots von ernst zu nehmenden Streitkräften.

Gemäß dem Versailler Vertrag war die Personalstärke der Reichswehr auf 100.000 Mann begrenzt. Darunter durften lediglich 4.000 Offiziere sein. Und damit die Deutschen nicht massenweise "Offiziers-Halbfabrikate" in offiziellem Unteroffiziersrang ausbildeten, wurde die Diensthöchstdauer für Offiziere wie für Soldaten gleichermaßen auf zwölf Jahre begrenzt.

Umgehen konnte die Weimarer Republik diese Beschränkungen, indem sie die sogenannte Schwarze Reichswehr ins Leben rief. Diese bestand aus paramilitärischen Organisationen, die vollständig unter der Kontrolle des Militärs standen, ihm jedoch nicht offiziell angehörten. Veteranen aus dem Ersten Weltkrieg waren reichlich verfügbar, und die Besten und am besten Motivierten von ihnen auszulesen, war alles andere als schwer.

Die Freundschaft und Zusammenarbeit mit der Sowjetunion war ein weiterer Weg zur Umgehung des Versailler Vertrages. Im Austausch für technische Informationen durften die Deutschen ihre Militärs in sowjetischen Akademien ausbilden lassen. Beide Seiten profitierten davon. Deswegen wählte Hitler, als es kurz nach seiner Machtergreifung zu einem ernsthaften Konflikt zwischen dem Militär und den braun behemdeten Stürmern kam, auf die Seite des Militärs. Im Juni 1934 brach er die "Nacht der langen Messer" vom Zaun und ließ die radikalsten unter den SA-Stürmern, seine eigenen Parteigenossen, gnadenlos abschlachten: In SA-Kreisen machten Ideen über eine Art Volksarmee die Runde, die den hochnäsigen Offizieren mit ihrem Corpsgeist gegenübergestellt werden sollte. Danach ließ das Militär alle Vorwürfe an die NSDAP wohlwollend fallen und Hitler mit allem gewähren, was er mit den Streitkräften vorhatte.

Planmäßig bauten die Nazis in den ersten zwei Jahren nach ihrem Triumph den Staat um und konsolidierten die Macht in ihren Händen, einen Bereich nach dem anderen. Im Jahr 1935 fühlten sie sich sicher genug, die Konfrontation mit jenen zu suchen, die Deutschland den Versailler Vertrag aufgezwungen hatten. Schließlich erklärten sie offen, dass sie keinerlei Einschränkungen mehr einhalten würden. Zuallererst wurde die allgemeine Wehrpflicht eingeführt, sodass das Militär, nun deutlich martialischer "Wehrmacht" genannt, auf eine halbe Million Mann anwachsen konnte.

Vorbereitet wurde dies alles schon früher – nicht erst nach der Machtergreifung durch die Nazis, sondern schon lange Zeit davor, etwa in Bezug auf den Panzerbau. So begann man die Arbeit am Panzerkampfwagen I, getarnt mit dem Projektnamen Kleintraktor, der später bei der Zerschlagung des französischen Militärs im Jahr 1940 massenhaft eingesetzt wurde, noch Ende der 1920er-Anfang 1930er-Jahre.

Deutschland war aber nicht nur der Bau von Panzern, sondern auch von Kampfflugzeugen untersagt. Aber vor der Machtergreifung durch Hitler hatte das Land einen Weg gefunden, das Kostbarste zu bewahren, das es hatte – seine Ingenieursschule. Hierfür nahmen deutsche Ingenieure an Projekten im Ausland teil, hierfür wurden gemeinsame Betriebe organisiert – nicht einmal nur in Europa. So profitierte man von der Erfahrung der deutschen Ingenieure auch jenseits des Atlantik: Goodyear-Zeppelin baute zum Beispiel zwei einzigartige fliegende Flugzeugträger – die Luftschiffe USS Akron und USS Macon.

Doch Ingenieursschulen allein hätten nicht gereicht. Autark war Deutschland noch nicht, doch die Nazi-Führung versuchte, diesen Zustand wenigstens ansatzweise zu erreichen – zur Verwirklichung ihrer Pläne musste das Land robuster werden und alles selbst herstellen können. Darum wurden unter Hermann Göring als Leiter des Vierjahresplans Zechen und Erzabbaustandorte wiedereröffnet, die zuvor dem Konkurrenzdruck mit ausländischen Betrieben nicht standhalten konnten. Und konnten sie auch nur Verluste erwirtschaften, so wussten die Nazis doch genau, dass sehr bald eine Zeit kommen würde, in der materielle Ressourcen viel kostbarer sein würden als jedes Geld.

All dies ermöglichte, die Personalstärke der Wehrmacht von 500.000 Mann im März 1935 auf 3,2 Millionen bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs im Jahre 1939 auszubauen – und sie mit dem vorgesehenen Kriegsgerät auszustatten. Und schon im Juni 1941 zählte das Militär der Nazis 7,2 Millionen Mann. Davon waren an der Grenze zur Sowjetunion 3,5 Millionen stationiert – und mit den europäischen Vasallen zusammen ergab sich die mehr als eindrucksvolle Zahl von 4,3 Millionen Mann. Durchaus genug für den Versuch, einen Weltkrieg nicht nur vom Zaun zu brechen, sondern auch zu gewinnen – einen Versuch, bei dem halb Europa zerstört und Dutzende Millionen Menschen ermordet wurden.

Was aber wird Deutschland bewerkstelligen können, falls es sich heute ernsthaft seinen Streitkräften zuwenden sollte? Vielleicht werden wir es ja in fünf bis zehn Jahren erfahren.

Die Schlachtfelder, auf denen Russland der neuen deutschen Armee begegnen könnte, sind nicht nur in der Ukraine zu suchen, sondern möglicherweise auch woanders. Schon allein deswegen, weil, sollte Deutschland sein Militär wieder in Ordnung bringen, seine Fähigkeit zu selbstständigen außenpolitischen Handlungen ebenso anwachsen wird wie seine Rolle in der internationalen Arena. Früher oder später werden dann Interessenkonflikte wahrscheinlich – irgendwo in Europa. Mit allen Folgen, die sich dann aufdrängen.

Warum? Deutschlands leistungsfähige Rüstungsindustrie, kombiniert mit der zweitstärksten Wirtschaft Europas (gleich nach Russland), wäre an sich noch kein Grund zur Sorge.

Anlass zur Sorge liefert etwas Anderes – die deutsche Nation hat über die letzten Jahre bei mehreren Gelegenheiten bewiesen: Sie hat ihre Gewohnheit, bereitwillig in Reih und Glied in eine vorgegebene Richtung zu marschieren, keineswegs verloren.

Zwar wurde in Deutschland bislang weder eine Staatsführung mit dem Charisma der Nazis mit Hitler an der Spitze installiert, noch hat dort irgendeine Partei gleichzeitig ein Programm, einen Zulauf und eine Kompromisslosigkeit, die mit denen der NSDAP vergleichbar wären. Doch das Risiko, dass sich dies ändert, sollte man ebenso wenig unterschätzen wie die Folgen einer solchen Entwicklung. Immerhin kamen die unbefriedigten Ambitionen des deutschen Volkes im 20. Jahrhundert Europa sehr teuer zu stehen, mit riesigen Opferzahlen und immenser Zerstörung.

Alles, was für eine erneute Katastrophe dieses Ausmaßes fehlt, ist ein ausreichendes Maß an Entschlossenheit – die im deutschen Volk durchaus erneut geweckt werden könnte. Wie es damals für Deutschland endete, wissen alle.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei Wsgljad.

Timur Schehrsad ist Kriegsberichterstatter, Analytiker und Kolumnist beim russischen militärisch-patriotischen Sender Swesda und beim Businessblatt Wsgljad.

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