Nahost

Wahltaktik, Hamas und Geopolitik: Warum bombardierte Israel erneut den Gazastreifen?

Politischer Opportunismus und eine interne Wahlkampfstrategie sind Gründe für die aufgeflammte Eskalation seitens Israels gegen die Palästinenser. Die Regierung in Tel Aviv hat erneut Gaza und seine belagerte Bevölkerung als Trumpfkarte gegen innere Kontrahenten genutzt.
Wahltaktik, Hamas und Geopolitik: Warum bombardierte Israel erneut den Gazastreifen?Quelle: AFP © Mohammad Abed

von Seyed Alireza Mousavi

Wieder heulten am Wochenende in Israel die Alarmsirenen, während Menschen Schutz vor Einschlägen von Raketen aus dem Gazastreifen suchten. Die militante Bewegung des Islamischen Dschihads in Palästina (PIJ) reagierte damit auf israelische Luftangriffe vom Freitag, die die israelische Regierung als "präventiven Angriff" gerechtfertigt hatte. Letzte Woche hatten israelische Sicherheitskräfte im israelisch besetzten Westjordanland den dortigen Anführer des PIJ festgenommen. Weitere Mitglieder der Organisation wurden getötet.

Israels jüngste Aggression gegen den Gazastreifen verursachte den Tod von mindestens 45 palästinensischen Zivilisten, darunter 15 Kinder, einen totalen Stromausfall und die Zerstörung von Dutzenden von Häusern und Gebäuden in den palästinensischen Gebieten. Der Waffengang war die opferreichste Eskalation im Gazastreifen seit mehr als einem Jahr. 

Der Angriff auf Gaza war im Allgemeinen ein Teil der israelischen Strategie namens "Rasen mähen", die sich auf die Schwächung der militärischen Fähigkeiten der palästinensischen Widerstandsfraktionen fokussiert, während die israelische Armee dabei Hunderte palästinensische Zivilopfer in Kauf nimmt.

Die neue Eskalation in Gaza soll in erster Linie im Kontext der neuen geopolitischen Entwicklungen seit dem Ukraine-Krieg in der Region verstanden werden. Nachdem Iran Russlands Operation in der Ukraine bei Putins Besuch in Teheran ausdrücklich unterstützte und die Golfstaaten Forderungen aus dem Westen wiederholt zurückwiesen, mehr Rohöl in den Markt zu pumpen, um die Preise zu drücken, versuchen Israel und die Türkei, die beim Ukraine-Krieg zwischen dem Westen und Russland pendeln, durch neue Eskalationen deren Position in der Region wieder zu stärken. Während die Türkei mit einer vierten Invasion in Nordsyrien liebäugelt, versuchte Israel durch seine jüngste Aggression gegen die Palästinenser, seine Muskeln in der Region nach dem jüngsten Streit zwischen der Hisbollah und Israel um das Karisch-Gasfeld im Mittelmeer spielen zu lassen. 

Die Lage Israels ist in der Region im Vergleich zur Türkei allerdings instabiler. Die Türkei hat zwar wie Israel die Militäroperation Russlands in der Ukraine verurteilt, aber das Land provoziert Russland nicht und versucht, zwischen der Ukraine und Russland konstruktiv zu vermitteln, wie etwa bei der Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine. Jair Lapid verurteilte seinerzeit als ehemaliger Außenminister Russland wegen des Ukraine-Krieges und warf der russischen Führung sogar "Kriegsverbrechen" vor – ein Schritt, den sein Vorgänger Naftali Bennett nie unternommen hatte.

Dessen ungeachtet sind der politische Opportunismus und die interne Wahlkampfstrategie weitere Gründe für die neue Eskalation seitens Israels. Tel Aviv hat erneut Gaza und seine belagerte Bevölkerung als Trumpfkarte gegen innere Kontrahenten genutzt. Übergangspremierminister Lapid verfügt über wenig Erfahrung im militärischen Bereich. Das unterscheidet ihn von vielen seiner Vorgänger und auch von seinem Kontrahenten Benjamin Netanjahu. Wenn eine wackelige israelische Regierung oder ein Premierminister bevorstehende Wahlen fürchtet, besteht nun die kurzfristige Option, um ihre Position in den Augen der Wähler zu stärken, darin, Gaza zu bombardieren. Verschiedene Beobachter haben deswegen einen Zusammenhang zwischen der Militäroperation und den Umständen hergestellt, dass in Israel am 1. November gewählt wird. Lapid konnte mit der neuen Aggression gegen Gaza zeigen, dass er vor dem Einsatz militärischer Mittel nicht zurückschreckt.

Die jüngste Aggressionsrunde war zudem Teil eines israelischen Versuchs, die Einheitsfront der palästinensischen Widerstandsfraktionen zu spalten. PIJ-Generalsekretär Ziyad al-Nachala, der sich gegenwärtig in Iran aufhält, rief nach dem Beginn des jüngsten israelischen Angriffes auf Gaza zur "Einheit" der Widerstandsfront auf. Westliche Medien versuchten in den letzten Tagen, das israelische Narrativ zu verstärken, wonach die Hamas sich bei den jüngsten Kampfhandlungen zwischen dem PIJ und Israel zurückgehalten und nicht Partei für den Islamischen Dschihad ergriffen habe. "Während die Hamas sich in erster Linie auf den Machterhalt und die Herrschaft über die Bewohner des Gazastreifens konzentriert, ist der von Iran unterstützte PIJ stärker auf die Fortführung des Kampfes gegen Israel ausgerichtet", schrieb die FAZ.

Die Hamas gab im Gegenteil dem PIJ beim jüngsten Waffengang grünes Licht, sich zu engagieren, und scheint sogar auch Hilfe und Logistik bereitgestellt zu haben, während sie sich "offiziell" zurückgezogen hat. Viele Beobachter in Gaza glauben, dass sich das Niveau der militärischen Koordination zwischen den beiden Milizengruppen während dieser Kampfrunde tatsächlich vertieft hat. Der Anführer der PIJ, al-Nachala, lobte die Hamas in einer Pressekonferenz, nachdem er am späten 7. August den Waffenstillstand erklärt und gesagt hatte, dass die Zusammenarbeit der Hamas und des PIJ "das Rückgrat des Widerstands im Gazastreifen" darstelle.

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