Europa

"Erschreckende Inkonsequenz": In Deutschland wächst die Unzufriedenheit mit der Ukraine-Politik

Umfragen beobachten einen Umschwung in der Stimmung der Bundesbürger hinsichtlich der Ukraine-Unterstützung. Experten sehen als Ursache für die zunehmende Skepsis die sich verschlechternde wirtschaftliche Situation der BRD, bedingt durch die drohende Energiekrise und den weiteren Anstieg der Inflation.
"Erschreckende Inkonsequenz": In Deutschland wächst die Unzufriedenheit mit der Ukraine-PolitikQuelle: AFP © Tobias Schwarz

Mehr als die Hälfte der Deutschen hat Zweifel an der Politik der Bundesregierung bezüglich der Situation in der Ukraine. Das berichtet Die Welt unter Berufung auf die Ergebnisse einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap. Insgesamt nahmen 1.327 Personen an der repräsentativen Umfrage teil. So heißt es im Bericht:

"Den Kurs der Koalition im Ukraine-Krieg stützen derzeit 39 Prozent. Bedenken dagegen melden 56 Prozent der Deutschen an."

Gleichzeitig machen sich immer mehr Bürger der Bundesrepublik Sorgen über die Folgen der Unterstützung für Kiew. Obwohl sieben von zehn Befragten ihre wirtschaftliche Lage als "gut" oder "sehr gut" bezeichnen, sieht fast die Hälfte der Befragten die Zukunftsaussichten "mit Skepsis und Besorgnis". Sie befürchten vor allem Energieengpässe und einen Kaufkraftverlust. Ferner heißt es in der Umfrage:

"Fast die Hälfte der Befragten (48 Prozent) befürchtet, dass ihre persönliche wirtschaftliche Situation in einem Jahr schlechter sein wird als heute."

Unterstützung als Bürde

Dies ist nicht die erste aktuelle Umfrage, welche die kritische Haltung der Deutschen gegenüber der Politik der Bundesregierung in der Ukraine zeigt. Am 6. Juli veröffentlichte n-tv die Ergebnisse einer vom Forsa-Institut für soziologische Forschung und statistische Analyse durchgeführten Umfrage.

Demnach glauben 69 Prozent der Deutschen nicht, dass die Ukraine in der Lage sein wird, Russland aus den besetzten Gebieten zu "verdrängen", selbst wenn der Westen Kiew mit "genügend Waffen" versorgt. Nur 26 Prozent der Befragten glauben das Gegenteil.

Außerdem wird die Möglichkeit eines militärischen Sieges der Ukraine selbst von den Befürwortern weiterer Waffenlieferungen nicht als real angesehen. Laut der Umfrage bezweifeln 56 % der Befürworter von Lieferungen, dass Kiew sich durchsetzen kann.

Darüber hinaus sind 47 Prozent der Deutschen der Meinung, dass die Ukraine notfalls zu territorialen Zugeständnissen bereit sein sollte, wenn die Friedensgespräche mit Russland wieder aufgenommen werden. Die gegenteilige Ansicht vertreten 41 Prozent der Befragten, und 12 Prozent der Befragten konnten diese Frage nicht beantworten.

Gleichzeitig glauben nur 15 Prozent der Befragten, dass die Bundesregierung über ein durchdachtes Konzept und eine Strategie für die langfristige Entwicklung der deutschen Außenpolitik gegenüber Russland und der Ukraine nach dem Ende der Spezialoperation verfügt. Dagegen meinen fast drei Viertel (73 Prozent), die Bundesregierung habe keine klare Vorstellung davon, wie die deutsche Außenpolitik gegenüber Moskau und Kiew in Zukunft aussehen soll.

Wie das deutsche Institut für Weltwirtschaft (IfW) am 6. Juli feststellte, nimmt die Dynamik der Unterstützung für die Ukraine weltweit ab. Das IfW dokumentiert seit dem 24. Februar die militärische, finanzielle und humanitäre Hilfe, die dem osteuropäischen Staat zugesagt wurde. In einer auf der Webseite der Organisation veröffentlichten Studie heißt es:

"Die Dynamik weiterer Unterstützungszusagen für die Ukraine lässt nach... Auffällig ist zudem die große Lücke zwischen zugesagter und tatsächlich geleisteter Unterstützung. Sowohl was die militärischen als auch was die finanziellen Zusagen betrifft, liegen die Leistungen unter dem, was die Ukraine laut eigener Einschätzung benötigt und was dem Land versprochen wurde."

Unterstützung trotzdem

Die Verstrickung Deutschlands in den Ukraine-Konflikt und sein Festhalten am pan-westlichen Anti-Russland-Kurs trifft nach Ansicht von Experten vor allem die Bürger der BRD. Bei Einhaltung der Sanktionen droht Deutschland eine Energiekrise, deren Folgen sich nicht nur auf die Wirtschaft des Landes, sondern ebenso auf das Wohlbefinden der Bevölkerung negativ auswirken können, was auch in Berlin erkannt wurde.

Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen, sagte in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe am 2. Juli, dass die bevorstehende Erhöhung der Energiepreise angesichts der Gasknappheit ein Schock für die deutschen Verbraucher sei. Er sagte voraus, dass sich die Kosten für Gas verdreifachen könnten. Müller bezweifelte jedoch, dass die Behörden in der Lage sein würden, alle deutschen Bürger zu entschädigen.

Bundeskanzler Olaf Scholz schloss in seinem Interview mit der ARD am 3. Juli die gravierenden sozialen Folgen der Heizkostenerhöhung nicht aus. So bezeichnete er insbesondere die steigenden Energiekosten als "sozialen Sprengstoff". Viele Menschen könnten es nicht bewältigen, wenn die Heizkostenrechnung plötzlich um hunderte Euro steige.

Es sei daran erinnert, dass sich die Energiesituation in Deutschland verschlechtert hat, nachdem Gazprom am 14. Juni angekündigt hatte, die Gaslieferungen über die Nord Stream-Pipeline reduzieren zu müssen. Grund dafür war eine Verzögerung bei der Rückgabe von Gasverdichter-Einheiten, die zur Reparatur an Siemens in Kanada übermittelt worden waren, sowie die Entdeckung technischer Mängel an den Motoren.

Nach Angaben des deutschen Unternehmens kann es die Turbine aufgrund der von Kanada verhängten Sanktionen nicht nach Russland zurückschicken. In der Zwischenzeit ist bekannt geworden, dass die kanadische Regierung die Lieferung der gewarteten Turbine nach Deutschland ermöglichen will. 

Trotz aller Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten für die deutsche Öffentlichkeit haben es die deutschen Behörden nicht eilig, ihre Unterstützung für die Ukraine zu verringern. So äußerte Scholz in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner" am 7. Juli:

"Wir werden so lange solidarisch sein - das ist jedenfalls mein Wunsch - wie das notwendig ist, damit die Ukraine sich verteidigen kann gegen den furchtbaren und brutalen russischen Angriff."

Begründete Ängste

Die Unzufriedenheit der Deutschen mit dem Enthusiasmus der Behörden, die Ukraine zu unterstützen, wird von russischen Experten als durchaus legitim bezeichnet. So erklärte der promovierte Politikwissenschaftler Andrei Manoilo in einem Gespräch mit RT:

"Die Unzufriedenheit wächst in der Tat, weil sich die Deutschen im Großen und Ganzen nicht um die Ukraine oder die künftige Weltordnung kümmern, wenn ihre eigenen Interessen darunter leiden. Sie kümmern sich nur um sich selbst und sehen, wie die Preise steigen und ihr Budget belasten."

Diese Ansicht vertritt auch Alexander Kamkin, Wissenschaftler Mitarbeiter am IMEMO der Russischen Akademie der Wissenschaften. Der ständige Anstieg der Preise, der Rückgang der sozialen Stabilität und die Schließung von Unternehmen in vielen Sektoren inmitten des langwierigen Ukraine-Konflikts können den Deutschen kein großes Vertrauen in den von ihrer Regierung eingeschlagenen Weg geben, meint er. Der Analyst erklärte:

"Insbesondere wird bereits davon gesprochen, dass es notwendig ist, die wirtschaftliche und die politische Komponente zu trennen. Konventionell gesprochen, unterstützen Sie bitte die Ukraine, aber warum sollten Sie einen Sanktionskrieg zum Nachteil Ihrer eigenen Interessen führen? Dies ist zum Hauptgrund für die Unzufriedenheit geworden."

Außerdem sind die deutschen Bürger, wie Andrei Manoilo betont, recht nüchtern, was das militärische und wirtschaftliche Potenzial der Ukraine und Russlands angeht, und erkennen, dass es nicht einmal richtig ist, sie zu vergleichen. Manoilo ergänzte:

"Und wenn Russland seine Ziele in der Ukraine konsequent verfolgt, wird es sie auch erreichen, trotz aller Unterstützung des Kiewer Regimes durch den Westen. Die Tatsache, dass die Deutschen nicht an einen militärischen Sieg der Ukraine glauben, ist also nur gesunder Menschenverstand."

Der RT-Gesprächspartner betonte, dass die Deutschen sehr wohl sehen, wie die Behörden in der Ukraine-Frage ständig zögern, was in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, Berlin habe keine klare Strategie in dieser Richtung. Der Politikwissenschaftler sagte weiter:

"Die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland beobachten immer wieder widersprüchliche Aussagen zu Sanktionen, Waffenlieferungen und Finanzhilfen an die Ukraine. Und dieser Mangel an Beständigkeit macht ihnen Angst, denn diese Zappelei macht die Zukunft unberechenbar."

Gleichzeitig ist er der Meinung, dass man nicht erwarten sollte, dass die Bundesregierung ihre Außenpolitik in naher Zukunft ändern wird, da sie diese mit anderen westlichen Partnern abstimmt. Der Analyst teilte abschließend mit:

"Viele westliche Politiker erwarten, dass sie, indem sie die Ukraine ihren Interessen opfern und sie unter die Walze der russischen Militärmacht werfen, diese Macht ausbluten lassen und damit einen geopolitischen Konkurrenten ausschalten. In Deutschland ist man sich jedoch darüber im Klaren, was der Weg zur Schwächung Russlands auf kurze Sicht bedeutet, und man will nicht auf seine Bequemlichkeit verzichten."

Mehr zum Thema - Sanktionen: Die Bundesregierung hat nicht einmal nachdenken lassen – Teil 2

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Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.