Europa

Nach Protest und Kritik: US-Lobbyistin wird Posten als oberste Kartellökonomin der EU nicht antreten

Vor allem in Frankreich und im EU-Parlament hatte die Ernennung der US-Amerikanerin für eines der wichtigsten wirtschaftspolitischen Ämter der EU-Kommission für Unmut gesorgt. Martin Sonneborn beschrieb die besorgniserregenden Unregelmäßigkeiten im Auswahlprozess.

Die US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Fiona Scott Morton wird den Posten als Chefökonomin der EU-Kommission für Wettbewerb nicht antreten. Das teilte die EU-Kommissarin für Wettbewerb, die Dänin Margrethe Vestager, am Mittwochmorgen auf Twitter mit.

Morton ist Professorin an der US-Eliteuniversität Yale. Zwischen 2011 und 2012 war sie für den früheren US-Präsidenten Barack Obama als leitende Wirtschaftsanalystin in der Kartellabteilung des US-Justizministeriums tätig. Ebenso arbeitete sie für große IT-Konzerne wie Amazon, Apple, Meta und Microsoft. Die EU-Kommission sollte sie ab dem 1. September für drei Jahre im Umgang mit diesen IT-Konzernen beraten.

In dem Schreiben, das Vestager auf Twitter teilte, erklärte Morton, sie habe beschlossen, den Posten der Chefökonomin der EU-Kommission für Wettbewerb nicht anzutreten. Als Grund nannte sie die Kontroverse, die die Bekanntgabe ihrer Ernennung am 11. Juli ausgelöst hatte. Vestager selbst teilte mit, dass sie Mortons Entscheidung mit Bedauern akzeptiert habe.

Vestager hat ihr Amt als EU-Kommissarin für Wettbewerb seit 2014 inne. Aktuell erwartet sie das Ergebnis des Auswahlprozesses für die Leitung der Europäischen Investitionsbank, für das sie kandidiert. Da eine Entscheidung bereits für Mitte August erwartet wird, könnte die (nun gescheiterte) Ernennung Mortons ihre letzte Entscheidung im aktuellen Amt gewesen sein.

"Schockierend" und "äußerst fragwürdig"

Vor allem in Frankreich und im EU-Parlament hatte es vergangene Woche heftige Kritik an der Personalie Morton gegeben. So hatten die Vorsitzenden der EU-Fraktionen EVP, S&D, Renew und EFA in einem offenen Brief an Vestager Unverständnis und Besorgnis angesichts möglicher Interessenkonflikte ausgedrückt. Es sei unverständlich, dass eine Nicht-EU-Bürgerin auf einen derart "strategischen" Posten berufen worden sei. Die französische Europaministerin Catherine Colonna und der französische Digitalminister Jean-Noël Barrot empfahlen der EU-Kommission, ihre Entscheidung zu überdenken. Die französische Zeitung Le Monde schrieb am Montag, die Berufung Mortons sei "schockierend" und fördere die Euroskepsis.

Sogar hochrangige Beamte der EU-Kommission äußerten öffentlich Kritik, wenn auch anonym. Gegenüber der US-Tageszeitung Politico hieß es, man sei von Vestagers Entscheidung überrascht worden. Die Ernennung eines US-Bürgers für einen mächtigen Posten in der EU, der US-Big-Tech-Firmen beaufsichtigen soll, sei "äußerst fragwürdig". Die EU-Regularien sehen für die Besetzung von Ämtern üblicherweise Bürger eines der EU-Mitgliedsstaaten vor.

Die EU-Kommission rechtfertigte die Kritik an der Öffnung des Bewerbungsverfahrens für Nicht-EU-Bürger damit, dass man einen möglichst großen Kreis an Bewerbern haben wollte. Gegen mögliche Interessenkonflikte Mortons habe man Vorkehrungen getroffen, hieß es. 39 europäische Ökonomen, unter ihnen die "Wirtschaftsweisen" Monika Schnitzer und Ulrike Malmendier, unterstützten in einem Brief  die Entscheidung der EU-Kommission. Darin betitelten sie Morton als eine der besten Industrieökonomen der Welt, die bereits in den USA unermüdlich dafür geworben habe, die Digitalwirtschaft stärker zu regulieren.

Martin Sonneborn: Auswahlverfahren war auf Morton zugeschnitten

Der EU-Abgeordnete Martin Sonneborn ging in einer ausführlichen Besprechung der Causa in der Berliner Zeitung am Dienstag auf die Unregelmäßigkeiten bei der Ernennung für eine der "wichtigsten Positionen in einer der mächtigsten Generaldirektionen der EU-Kommission" näher ein.

Laut Sonneborn sei bei ausnahmslos allen bisherigen Ausschreibungen zum "Chief Competition Economist" die EU-Staatsbürgerschaft als allererste Zulassungsvoraussetzung vermerkt gewesen. Im diesjährigen, im Februar eröffneten Verfahren (COM/2023/10427) sei sie jedoch bei nahezu wortgleicher Übernahme aller anderen Textbausteine "wie durch Zauberhand verschwunden".

Laut eigener Aussage gehe Sonneborn davon aus, dass das Einstellungsverfahren speziell darauf zugeschnitten wurde, "eine ganz bestimmte Bewerberin aus dem Nicht-EU-Raum zu begünstigen." Dafür würde unter anderem sprechen, dass Morton bereits im April ihre Kollegen an der Universität Yale über ihre Berufung in die EU-Verwaltung informiert hatte. Auch die US-Zeitungen Bloomberg und Financial Times wussten von der Berufung bereits im April.

Die EU-Kommission hingegen habe im Vorfeld über diese "ungewöhnliche Personalentscheidung"sowohl nicht ausreichend informiert, als auch einen gezielten Täuschungsversuch unternommen. So sei die Neubesetzung durch Morton in den Unterlagen zum letzten Treffen des Kollegiums am 11. Juli im Anhang eines am Vortag per E-Mail übersandten Dokumentenstapels versteckt gewesen. Einen Hinweis auf Mortons Nationalität habe es nicht gegeben. Auch die Angabe zu ihrer Beratertätigkeit, an der sie pro Fall ein bis zwei Millionen US-Dollar verdiente, soll lückenhaft gewesen sein. Apple und Microsoft seien als Kunden genannt worden, Amazon, Pfizer und der französische Pharmakonzern Sanofi jedoch nicht.

Sonneborns Schlussfolgerung: Die Kommission kümmert es nicht mehr, welchen Eindruck sie nach außen erzeugt und welche internen Rechtsvorschriften für Verwaltungsprozesse für sie gelten.

Norbert Häring: Bezeichnende Stille aus Deutschland

Aus deutschen Regierungskreisen gab es keine Kritik an der Personalie Morton. Gegenüber dem Manager-Magazin teilte ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums auf Anfrage mit, dass man Presseberichte über Personalentscheidungen der EU-Kommission nicht kommentiere.

Der Journalist Norbert Häring stellte in einem kritischen Kommentar die Frage, was eine US-amerikanische Yale-Professorin "mit sicherlich äußerst lukrativen Beraterverträgen mit Apple und Amazon" dazu motivieren könne, sich um einen vermutlich deutlich schlechter bezahlten Job im "nicht ganz so schönen Brüssel" zu bewerben.

Eines der schwierigsten und wichtigsten Themen der EU-Wettbewerbspolitik sei aktuell nämlich der Umgang mit den US-amerikanischen IT-Giganten. Diese haben in der EU bekanntlich monopolartige Stellungen, müssen sich jedoch nicht an europäische Gesetze halten und so gut wie keine Steuern zahlen.

Die Berufung Mortons durch die EU-Kommission, so Häring, käme in diesem Zusammenhang dem Treueschwur eines Vasallen gleich, alles zu tun, um den USA "in ihrem Abwehrkampf gegen China um die IT-Vorherrschaft auf der Welt zu helfen", ein Ziel allerhöchsten Ranges für die US-Regierung. Das lange Schweigen der deutschen Politik und Medien zu dem Fall nannte Häring bezeichnend. Nach der Bundesregierung habe offenbar auch die EU-Kommission jeden Anschein aufgegeben, souverän zu agieren.

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