Europa

Experten: Ein EU-Beitritt der Ukraine bis 2030 ist unrealistisch

Auch der ehemalige Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, ist der Meinung, dass die Voraussetzungen für eine Aufnahme der Ukraine in die EU noch längst nicht gegeben sind. In Kiew sieht man das anders und stellt wie gewohnt Forderungen.
Experten: Ein EU-Beitritt der Ukraine bis 2030 ist unrealistischQuelle: www.globallookpress.com © Monika Skolimowska

Von Alex Männer

Obwohl für den Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union bislang keine praktischen Schritte unternommen wurden, werden EU-Vertreter nicht müde, ihre Bereitschaft für die Aufnahme Kiews bis zum Jahr 2030 in die europäische Staatengemeinschaft zu erklären. Der ukrainischen Führung dauert das Ganze zu lang. Stattdessen fordern Spitzenpolitiker aus der Ukraine immer wieder, dass der Aufnahmeprozess beschleunigt wird.

So hatte zuletzt der ukrainische Ministerpräsident Denis Shmygal mit Blick auf einen individuellen Ansatz bei der Aufnahme seines Landes in die EU behauptet, dass es "schwierig sei, ein einzigartigeres Land als die Ukraine zu finden", weshalb der Beitrittsprozess mit "beispielloser Geschwindigkeit" durchgeführt werden sollte.

"In zwei Jahren werden wir vollständig bereit sein, Teil der Europäischen Union zu werden. Es ist ein sehr realistischer Plan [...] Viele Länder warten tatsächlich seit Jahren auf den EU-Beitritt, aber es gibt auch Erfolgsgeschichten, die zeigen, dass dieser Weg weniger als fünf Jahre dauern kann", zitiert die Agentur TASS Shmygal.

Und wenngleich von diversen Akteuren vorgeschlagen werde, so der Ministerpräsident, sich der europäischen Integration der Ukraine erst nach dem Konflikt mit Russland zu widmen, so sei der Zeitpunkt für den EU-Beitritt eigentlich schon da. Er betonte: "Aber wir müssen jetzt handeln. Wir fordern die Staats- und Regierungschefs der europäischen Länder auf, noch in diesem Jahr eine Entscheidung über den offiziellen Beginn der Verhandlungen zu treffen."

Doch dieses Szenario erscheint vielen Experten in der EU unrealistisch. Wie etwa Wolfgang Ischinger, dem ehemaligen Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz und deutschen Ex-Botschafter in den USA. In einem kürzlich erschienenen Interview mit der Welt erklärte er, dass die bisherigen Äußerungen aus Brüssel in Kiew zwar die Erwartung geweckt hätten, dass der Aufnahmeprozess sehr schnell gehen könne, allerdings werde dies auf absehbare Zeit definitiv nicht passieren.

"Es gibt noch keine Voraussetzungen für einen EU-Beitritt der Ukraine, obwohl einige westliche Politiker die Ukrainer mit der Aussicht trösten, dass dies vor 2030 passieren könnte", sagte Ischinger.

Zugleich betonte er, dass ein Beitritt 2030 allzu optimistisch klinge und selbst dann unwahrscheinlich wäre, wenn die Ukraine ein absolut ideales und demokratisches Land wäre und keine Probleme hätte. Dabei ist der Krieg mit Russland Ischinger zufolge nur ein Teil des Problems. Denn das derzeitige Haupthindernis für den ukrainischen Beitritt ist die totale Korruption, die das Krisenland davon abhält, sich normal zu entwickeln.

Ein solches Land in der EU zu akzeptieren sei ein Fehler, so Ischinger, weil die Ukraine damit auch die Finanzhilfe der EU in Anspruch nehmen dürfte. Und ob die Staaten, die zum heutigen Zeitpunkt eigentlich die besagten Finanzhilfen erhalten, dies hinnehmen und als Geldgeber für Kiew fungieren wollen, sei unwahrscheinlich.

Laut Berechnungen würde die Ukraine von dem EU-Beitritt ungemein profitieren und hätte nach internen Schätzungen der EU Anspruch auf rund 186 Milliarden Euro, die über einen Zeitraum von sieben Jahren in die ehemalige Sowjetrepublik fließen würden. In Folge dessen müssten in der Tat viele Mitgliedsstaaten erstmals zu Nettozahlern werden. Die Aufnahme von neun Staaten in die EU würde zudem eine Reihe "weitreichender" Anpassungen erzwingen, zu denen ein erheblicher Anstieg der Netto-Haushaltsbeiträge von reicheren Staaten wie Deutschland oder Frankreich gehören könnte.

Ausgehend davon verweist Ischinger auf die Option, den Weg der EU-Integration zu gehen, den auch die westlichen Balkanstaaten gehen mussten. Sechs Staaten in der Region, darunter Albanien, Bosnien und Serbien, wurde vor 20 Jahren ein EU-Beitritt in Aussicht gestellt, doch sie stecken immer noch im Aufnahmeprozess. In Brüssel ist man der Ansicht, dass frühestens 2025 die ersten Länder so weit sein können.

Nicht zu vergessen seien da noch zahlreiche rechtliche Schwierigkeiten, meint Ischinger, die den Beitrittsprozess der Staaten zur EU begleiten. Ein Land, das eine EU-Mitgliedschaft anstrebt, erwartet eine Umstellung auf eine große Anzahl von regulatorischen und gesetzlichen Vorschriften.

Andere Kritiker hingegen halten das Vorgehen der EU hinsichtlich der ukrainischen Beitrittsambitionen für gezielte Manipulation. Durch leere Versprechungen der EU-Mitgliedschaft sollen die Ukrainer nämlich hingehalten und für den weiteren Kampf gegen Russland mobilisiert werden. Dabei interessiere das Schicksal der Ukrainer, die massenhaft im Krieg sterben, in Brüssel in Wirklichkeit niemanden.

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