Meinung

Wann russisch-ukrainische Verhandlungen wirklich beginnen werden

Der Pressesprecher des russischen Präsidenten hat Behauptungen der ARD über anstehende russisch-ukrainische Verhandlungen dementiert. Tatsächlich könnten Verhandlungen nur nach handfesten militärischen Ergebnissen beginnen, denn Russland kann dem Westen nicht vertrauen.
Wann russisch-ukrainische Verhandlungen wirklich beginnen werdenQuelle: Sputnik © Sergei Karpuchin

Von Geworg Mirsajan

Russisch-ukrainische Verhandlungen sollen im Juli beginnen, verkündete die ARD. Nach ihren Angaben sei eine solche Entscheidung auf dem geheimen Treffen in Kopenhagen gefällt worden, an dem Vertreter der Ukraine, des Westens sowie Indiens, Südafrikas, Saudi-Arabiens, Brasiliens und der Türkei teilnahmen. Laut dem Oberhaupt des ukrainischen nationalen Sicherheitsrats, Andrei Danilow, habe Russland bereits eine Gruppe von Unterhändlern zusammengestellt. Das Oberhaupt des Kiewer Regimes fügte hinzu, dass auch der weißrussische Präsident Alexandr Lukaschenko an den Verhandlungen teilnehmen könnte.

Russische Behörden dementierten diese Information. Laut dem Pressesprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, sei dem Kreml davon nichts bekannt:

"Zusätzliche Informationen sollte man wohl bei der ARD erfragen."

"Was Verhandlungen im Kontext der Ukraine-Krise angeht, kann man noch einmal wiederholen: Gegenwärtig sind dafür keine Voraussetzungen in Sicht", erklärte Peskow.

Und dies ist tatsächlich das Schlüsselargument. Russland hatte sich schon immer für eine diplomatische Lösung des Ukraine-Konflikts eingesetzt. Nach dem Beginn der speziellen Militäroperation machte Russland mehrmals deutlich, dass es bereit sei, alle Ansprüche an das Kiewer Regime und den Westen an einem Verhandlungstisch zu regeln – selbst nachdem sich Wladimir Selenskij mit nuklearen und sonstigen Formen des Terrorismus beschäftigte. Doch im Gegensatz zu leerem Geschwätz, das dem Gewinnen von Zeit dient oder dem Betrug am Gegenüber, sind Verhandlungen nur dann möglich, wenn bestimmte Voraussetzungen dafür vorliegen.

Es muss mehrere solcher Voraussetzungen geben.

Erstens sollten sich die Verhandlungspositionen annähern und es sollte sich zumindest theoretisch ein gemeinsamer Nenner ergeben. Heute gibt es ihn nicht einmal ansatzweise, denn die Positionen der Seiten gehen nicht nur auseinander, sondern können sich wegen der eigenen Gesetzgebung nicht annähern.

So fordert Russland von der Ukraine einen neutralen Status, eine Demilitarisierung des Territoriums, eine Entnazifizierung des Regimes sowie eine Befreiung aller russischen Gebiete, die gegenwärtig vom Kiewer Regime besetzt sind. Damit sind Teile der Gebiete Cherson und Saporoschje sowie der Donezker und Lugansker Volksrepubliken gemeint. Russland hat nicht vor, auf die letztgenannte Forderung zu verzichten, und kann es auch nicht tun, denn dies würde der russischen Verfassung widersprechen. "Handlungen, die auf eine Entfremdung eines Teils des Territoriums der Russischen Föderation gerichtet sind (mit Ausnahme von Entmilitarisierung, Demarkation und Re-Demarkation der Staatsgrenze der Russischen Föderation mit den angrenzenden Staaten) sowie Aufrufe zu solchen Handlungen sind nicht zulässig", lautet der Artikel 67 des russischen Grundgesetzes. Die Vertreter des Kiewer Regimes behaupten ihrerseits, dass Verhandlungen mit einer Kapitulation Russlands enden müssen. Russland solle einen Teil seines Territoriums entmilitarisieren, der Ukraine hunderte Milliarden US-Dollar an Entschädigung zahlen und die russischen Gebiete, nämlich die bereits genannten vier Territorien sowie die Krim, unter die Kontrolle des Kiewer Regimes stellen.

Die zweite notwendige Voraussetzung ist eine Änderung des militärischen Status quo. Ein Kompromiss ist nur dann möglich, wenn beiden oder zumindest einer Seite bewusst wird, dass der Krieg nicht anders als über Verhandlungen gewonnen werden kann. Genau infolge einer solchen Erkenntnis war der Waffenstillstand auf der Koreanischen Halbinsel, der Friedensvertrag von Vietnam usw. vereinbart worden.

Heute hat keine der Seiten ein solches Bewusstsein. Moskau glaubt, dass das Kiewer Regime am Ende seiner Kräfte sei, während Russland "noch gar nicht richtig begonnen" habe. Die ukrainische Industrieproduktion brach fast um die Hälfte ein, während sie in Russland, darunter im Bereich der Rüstungsindustrie, wächst. Die weitere Welle der ukrainischen Mobilmachung zeigt bereits faktisch die Grenze des Möglichen auf, während in Russland nur eine Mobilmachung durchgeführt wurde, und selbst diese lediglich partiell war. Deswegen liegt für Moskau ein militärischer Sieg in greifbarer Nähe. Die Ukraine hofft ihrerseits auf weitere westliche Waffenlieferungen für ihr Militär, auf Geld für die Wirtschaft und natürlich auf Söldner für die Verstärkung ihrer Streitkräfte. Die USA und die EU unterstützen öffentlich Kiews Hoffnungen auf einen gemeinsamen militärischen Sieg über Russland. Freilich können die westlichen Staaten Kiew hinter den Kulissen mit einer Einstellung dieser Lieferungen drohen, doch anscheinend ist sich die Ukraine sicher, dass die Lieferungen nicht aufhören. Westliche Politiker hätten den Wert der Ukraine für die eigene Bevölkerung so stark gesteigert, dass sie es schlicht nicht mehr schaffen werden, jetzt eine Wendung um 180 Grad zu vollziehen und die Unterstützung einzustellen. Ein Teil der Politiker wird es auch gar nicht wollen. Deswegen sind die Anführer des Kiewer Regimes bereit, bis zum letzten Ukrainer zu kämpfen.

Sicher könnten diese beiden Voraussetzungen zumindest theoretisch geschaffen werden, doch es gibt eine weitere, deren Eintreten sehr unwahrscheinlich ist. Die Rede ist von einem zumindest minimalen Vertrauen zwischen den Parteien.

Stand heute, wo noch keine der Seiten einen militärischen Sieg errungen hat, wird jedes Abkommen den Charakter einer Roadmap haben. Es wird eine Liste von Bedingungen und Maßnahmen sein, die beide Seiten in absehbarer Zukunft zu erfüllen haben, sowie von diversen Versprechen und Garantien, wie etwa eine Verpflichtung der Ukraine, nicht der NATO beizutreten. Dafür ist es notwendig, dass sich die Seiten vertrauen, und Russland vertraut weder der Ukraine noch ihren westlichen Partnern.

Dieses Misstrauen ist absolut begründet. Nicht umsonst demonstrierte Wladimir Putin auf einem Treffen mit afrikanischen Staatschefs das Projekt eines Abkommens, das als Ergebnis der Verhandlungen in Istanbul im Frühling 2022 erzielt wurde. Dieses Abkommen war von der ukrainischen Delegation paraphiert und später von Selenskij auf den Abfallhaufen geworfen worden. Auf denselben Abfallhaufen, wo bereits die Minsker Vereinbarungen liegen, die die Ukraine seit dem Moment ihrer Unterzeichnung nicht eingehalten hat und auf deren Einhaltung Europa auch nicht bestand. Wo das nach dem Maidan vereinbarte Abkommen über den zivilisierten Rücktritt von Janukowitsch liegt, das in derselben Nacht sowohl von den Anführern des Maidan als auch von westlichen Spitzenpolitikern, die es unterzeichnet hatten, weggeschmissen wurde. Wo zahlreiche weitere russisch-ukrainische Abkommen liegen. Deswegen hat Moskau keine Garantien, dass der Westen etwa an einem Tag die Verpflichtung der Ukraine, nicht der NATO beizutreten, mit seiner Unterschrift garantiert, und am nächsten Tag sagt: "Entschuldigung, das ist das souveräne Recht der Ukraine, also kann sie der Allianz beitreten."

Unter solchen Bedingungen wird das einzig mögliche Abkommen keine Roadmap sein, sondern eine Feststellung der Tatsachen vor Ort. Also die sofortige und bedingungslose Anerkennung der neuen russischen Gebiete durch die Ukraine, der Verzicht auf jegliche Reparationsforderungen, die Auslieferung von nazistischen Verbrechern und ähnliches. Doch dies ist nur möglich, nachdem Russland einen endgültigen und zweifellosen Sieg errungen hat und nachdem der Westen diesen Sieg auch anerkannt hat. Es ist aber unwahrscheinlich, dass dies vor Beginn des Jahres 2025 passiert, also bevor Russland größere Territorien befreit und bevor in den USA eine neue, qualifiziertere und realistischere republikanische Regierung an die Macht kommt.

Bis dahin sollten alle westlichen und ukrainischen Behauptungen über baldige Verhandlungen unter zwei Gesichtspunkten betrachtet werden. Erstens, als eine Sondierung Russlands in Bezug auf den US-amerikanischen "Plan B", nämlich die Möglichkeit, Moskau zu einem Einfrieren des Konflikts zu erpressen, sollte die ukrainische Offensive endgültig scheitern. Zweitens, als einen Versuch, Russland mit seinen Partnern des Globalen Südens zu entzweien. Schließlich hätten sich diese angeblich in Kopenhagen mit dem Westen solidarisiert, um Moskau zu einer Kapitulation zu zwingen. Beides bedeutet, dass diese Behauptungen keiner Reaktion bedürfen.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei Wsgljad.

Geworg Mirsajan ist außerordentlicher Professor an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation, Politikwissenschaftler und eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Geboren wurde er 1984 in Taschkent. Er machte seinen Abschluss an der Staatlichen Universität in Kuban und promovierte in Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt USA. Er war von 2005 bis 2016 Forscher am Institut für die Vereinigten Staaten und Kanada an der Russischen Akademie der Wissenschaften.

Mehr zum ThemaAuch im "Frieden" soll Krieg herrschen: Deutschlands morbide Ideen für einen Friedensschluss

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.