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Gedenken oder Heuchelei? Was beim Treffen von Selenskij und Duda unausgesprochen blieb

Anlässlich des 80. Jahrestags des Wolhynien-Massakers gedachten der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij und sein polnischer Amtskollege Andrzej Duda in Luzk der Opfer. Dass die Täter von damals in der heutigen Ukraine als Helden verehrt werden, scheint sie nicht zu stören.
Gedenken oder Heuchelei? Was beim Treffen von Selenskij und Duda unausgesprochen bliebQuelle: AFP © Pressedienst des ukrainischen Präsidialamts

Von Wladimir Kornilow

Am 11. Juli 2023 jährt sich zum 80. Mal der Blutsonntag von Wolhynien. Es ist das massenhafteste und schrecklichste Verbrechen, das von ukrainischen Nationalisten während des Wolhynien-Massakers im Jahr 1943 verübt worden war. Dieser Tag war von den Anführern von Stepan Banderas Ukrainischer Aufständischer Armee (UPA) im Voraus akribisch und sorgfältig geplant worden. Der Tag war nicht zufällig gewählt worden: Die UPA-Kämpfer hatten beabsichtigt, wolhynische Städte und Siedlungen an einem Sonntagmorgen anzugreifen, wenn sich die einheimischen polnischen Volksangehörigen in Kirchen versammeln. Die Banderisten hatten damit gerechnet, dass es auf diese Weise leichter sein werde, Katholiken an einem Ort zu vernichten.

Allein an diesem Tag hatten UPA-Kämpfer etwa 100 Siedlungen angegriffe, wo sie stundenlang die Zivilbevölkerung, hauptsächlich Frauen, Alte und Kinder, massakriert, vergewaltigt, ausgeraubt und gefoltert hatten. Die Banderisten hatten schon immer Munition gespart, deswegen waren für Morde bei diesem Massaker hauptsächlich Äxte, Heugabeln, Messer, Sicheln und Keulen verwendet worden. Manche Opfer waren bei lebendigem Leibe verbrannt worden. An manchen Orten waren die Morde sofort erfolgt, an anderen waren die Opfer zuerst mit sadistischem Vergnügen gefoltert worden.

Am 11. Juli waren etwa 100 wolhynische Siedlungen angegriffen worden, am darauffolgenden Tag noch Dutzende weitere. Niemand kann genau sagen, wie viele Polen bei diesem Massaker ermordet worden waren. Es ist aber klar, dass die Opferzahlen im Bereich mehrerer Tausend liegen.

Und am 9. Juli 2023 gedachten zwei Präsidenten des Jahrestages dieser schrecklichen Tragödie in Luzk – jene der Ukraine und Polens. Nein, wir hörten weder Entschuldigungen noch Bußreden vom ukrainischen Präsidenten. Zum Gipfel des "historischen Kompromisses" wurde ein Tweet mit gleichlautenden Texten, der von den Kanzleien beider Präsidenten gleichzeitig veröffentlicht wurde: "Zusammen gedenken wir aller unschuldigen Opfer von Wolhynien! Das Gedenken vereinigt uns! Zusammen sind wir stärker!" Das war's! Darauf beschränkt sich die von Wladimir Selenskij seit Langem angekündigte "historische Versöhnung"!

Im Prinzip sind die Polen zufrieden. Das Ereignis bekam eine gute Presse. Selbst die oppositionelle Zeitung Fakt kam mit der Überschrift heraus: "Darauf haben die Verwandten der Opfer gewartet!" Dabei verstehen in Polen alle sehr gut, dass Andrzej Duda seine Reise nach Luzk ausschließlich im Rahmen seiner Wahlkampagne unternahm, bei der seine Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS) verzweifelt um rechte und patriotische Wählerschaft wirbt.

Wissen Sie, welche Tatsache am klarsten die Heuchelei der Krokodilstränen der beiden Präsidenten demonstriert? Gerade mal eine halbe Stunde zu Fuß entfernt von der Kathedrale St. Peter und Paul, wo sie angeblich das Gedenken an die Opfer des Wolhynien-Massakers ehrten, liegt die Klim-Sawur-Straße. Benannt ist sie zu "Ehren" (entschuldigen Sie, ich kann dieses Wort in Bezug auf einen solchen Banditen nicht ohne Anführungszeichen verwenden) des Kommandanten der UPA, der die Vernichtung der Polen am Blutsonntag persönlich geplant und geleitet hatte. Die Stepan-Bandera-Straße liegt noch näher. Duda fuhr mit Sicherheit über diese Straßen, während er zum Ort des Fotoshootings mit Selenskij anreiste. Wird er als Zeichen der "historischen Versöhnung" etwa noch Blumen an den Denkmälern für die Henker des Wolhynien-Massaker niederlegen, die in Selenskijs Ukraine offiziell als "Helden" verehrt werden?

Gerade deswegen beschränkte sich Selenskij auf die unverbindliche Phrase über "unschuldige Opfer" und verlor kein Wort darüber, was denn nun von den blutigen Mördern, die polnische Kinder vor 80 Jahren getötet und gefoltert hatten, zu halten sei. Sonst müsste er erklären, warum jetzt in seinem Land Denkmäler für diese Halsabschneider errichtet werden.

"Sie sind so, wie sie sind", antwortete Selenskij einmal auf die Frage nach modernen Nazis, die er unlängst in Lwow begrüßte. Auch Bandera, Roman Schuchewitsch und Sawur waren wohl in den Augen des Oberhaupts des Kiewer Regimes "so, wie sie waren". Über unschuldige Opfer für die Wahlkampagne seines Nachbarn trauern, das kann Selenskij problemlos! Sich die Frage stellen, wer denn die Henker dieser Opfer waren, liegt aber außerhalb seiner Befugnisse!

So sieht ihre "historische Versöhnung" aus …

Übersetzt aus dem Russischen.

Wladimir Kornilow ist ein russischer Politologe, Journalist und Kommentator.

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