Meinung

Die "regelbasierte Ordnung" am Beispiel der ukrainischen NATO-Ambitionen

Der kürzliche NATO-Gipfel in Vilnius war aus Sicht der Ukraine alles andere als ein Erfolg. Vor allem deshalb, weil die Hoffnungen Kiews auf einen baldigen Beitritt zur westlichen Militärallianz auch dieses Mal nicht erfüllt wurden. Das Vorgehen der NATO in dieser Frage offenbart, dass sie das osteuropäische Krisenland weiterhin instrumentalisiert – und dafür keine Verantwortung übernehmen will.
Die "regelbasierte Ordnung" am Beispiel der ukrainischen NATO-AmbitionenQuelle: www.globallookpress.com © Simon Dawson/Simon Dawson/No

Von Alex Männer

Das vergangene Gipfeltreffen der nordatlantischen Militärallianz in der litauischen Hauptstadt Vilnius sollte aus Sicht der Ukraine ein voller Erfolg werden, endete jedoch mit einer bitteren Enttäuschung. Denn mit dem Ausbleiben einer Einladung der ehemaligen Sowjetrepublik in die NATO wurden die ukrainischen Hoffnungen auf einen baldigen Beitritt zum Bündnis ein weiteres Mal zutiefst erschüttert. So sieht die NATO-Perspektive Kiews auch nach diesem Gipfel keine Beitragszusage vor, stattdessen gibt es nur einen allgemeinen Fahrplan ohne jede zeitliche oder sonstige Festlegung.

Inoffiziell soll es sogar heißen, dass die Ukraine so lange nicht in die NATO aufgenommen wird, bis sie Russland besiegt hat. Das heißt: Die Ukraine wird wohl niemals Mitglied der Allianz werden, weil sie einfach nicht in der Lage ist, den Russen eine Kriegsniederlage zu versetzen.

Dies scheint die ukrainische Führung hart getroffen zu haben. Präsident Wladimir Selenskij warf der NATO deshalb sogar öffentlich "Schwäche" vor und forderte erneut Sicherheitsgarantien etwa in Form von Waffenlieferungen. Wobei er aufgrund seiner besonders dreisten Art einige der "westlichen Partner" offenkundig brüskierte und diesbezüglich eine medienwirksame Rüge von dem britischen Verteidigungsminister Ben Wallace bekam.

Auch der ukrainische Außenminister Dmitri Kuleba zeigte sich gekränkt. In einem Interview mit Radio Svoboda monierte er, dass es keine Klarheit darüber gebe, wie und von wem die Bedingungen für die künftige NATO-Mitgliedschaft der Ukraine formuliert werden sollten. "Das ist das Problem. Das heißt, wann werden die Bedingungen erfüllt sein? Was sind die Bedingungen? Von wem sollen sie formuliert werden? Wie lauten sie? Noch einmal: Unser Standpunkt ist, dass alle Bedingungen erfüllt sind, um die Ukraine einzuladen, NATO-Mitglied zu werden", sagte der Minister.

Dabei sind die besagten Aufnahmebedingungen eigentlich kein Geheimnis und allgemein sehr gut bekannt. Dies gilt auch für die von der NATO formulierten Voraussetzungen zur Mitgliedschaft der Ukraine. Diese wurden von dem Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius als Reaktion auf die Kritik der Kiewer Führung in einem ARD-Interview übrigens sehr überzeugend verteidigt.

Dass Kuleba über diese Bedingungen durchaus informiert ist, ist wohl nicht zu bestreiten. Warum äußert er dann aber öffentlich Kritik in diesem Zusammenhang? Ist es eventuell so, dass der Außenamtschef andere "Voraussetzungen" gemeint hat, die nur in einem engen Kreis von NATO-Staatschefs formuliert wurden und der Öffentlichkeit nicht bekannt sind?

Womöglich entspricht der Umgang der NATO mit der Ukraine in dieser Angelegenheit einfach der von den westlichen Staaten erfundenen und von ihnen zunehmend propagierten "internationalen regelbasierten Ordnung". Der genaue Inhalt dieses Konzepts ist zwar vage, und zwischen den einzelnen Auffassungen bestehen große Unterschiede. Wenn man jedoch von dem Verhalten diverser westlicher Staaten auf der internationalen Bühne ausgeht, dann scheint es bei dieser Ordnung – im Gegensatz zu dem im Rahmen der Vereinten Nationen geltenden internationalen System – keine klar definierten Regeln zu geben. Stattdessen werden die Regeln von dem Westen laufend geändert oder es werden einfach neue Regeln erfunden, wenn das Ganze nicht so gut läuft und das gewünschte Ergebnis ausbleibt. Unter anderen kann in den Beziehungen zwischen dem Westen und anderen Staaten im Rahmen dieser "regelbasierten Ordnung" ein gewisser Zustand der Unbestimmtheit herrschen, der je nach Sachlage neu interpretiert werden kann. Dadurch ist die westliche Politik an nichts gebunden und kann – falls notwendig – grundlegend geändert werden.

Dieser Ansatz ist in den Ukraine-NATO-Beziehungen daher ganz klar zu erkennen. Die NATO-Staaten hatten ihre Rhetorik hinsichtlich der ukrainischen Ambitionen und mit Blick auf die absolute Unterwerfung der Kiewer Führung den westlichen Interessen immer wieder so genutzt, dass in erster Linie ein bestimmtes Resultat für die Militärallianz selbst erreicht werden sollte. Zum Beispiel hat man die Beitrittshoffnungen der Ukraine im Vorfeld ihrer Großoffensive immer wieder gestärkt und mehrfach signalisiert, dass eine Aufnahme des Landes in das Bündnis im Grunde eine beschlossene Sache und praktisch nur eine Frage der Zeit ist. Allem Anschein nach sollten die Ukrainer damit für den "entscheidenden Kampf" motiviert werden. Als die Offensive dann aber plötzlich ins Stocken geriet und folglich scheiterte, wurden in Bezug auf eine mögliche NATO-Aufnahme zunehmend Zweifel in den westlichen Medien geäußert. Schon vor dem Treffen in Vilnius hatte man der Ukraine unmissverständlich klargemacht, dass ihr Beitritt zur NATO derzeit kein Thema ist, wobei die Gespräche in dieser Frage von den USA und Deutschland – und nicht wie üblich von Ungarn – blockiert wurden.

Diesbezüglich hatten Experten weltweit seit Jahren wiederholt darauf hingewiesen, dass die NATO-Aufnahme der Ukraine für den Westen in Wirklichkeit nicht erwünscht ist, da Washington, London und Co. dieses osteuropäische Krisenland von Anfang an und ausschließlich für ihre eigenen Interessen instrumentalisieren und dafür keine Verantwortung übernehmen wollten. Letzten Endes haben sie es auch geschafft und die Ukraine quasi in eine Privatarmee verwandelt, die im Stellvertreterkrieg des Westens gegen Russland eingesetzt wird und für die man keine Bündnisverpflichtung der NATO benötigt.

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